Das Haus an der Friedrich-Ebert-Straße 42 wurde 1924/25 gebaut. Der Architekt, der mehrer Wohnhäuser in Krefeld errichtet hatte, hieß Friedrich Kühnen. Bauherr war der Kaufmann Richard Merländer, Mitinhaber der Firma Merländer, Strauß und Co. Dieser Samt- und Seidengroßhandel produzierte nicht selbst, sondern kaufte Rohstoffe ein, die im Auftrag der Firma behandelt, in der Regel bedruckt wurden. Richard Merländers Aufgabe war es, den Stoff zu verkaufen – an Textilhandlungen und Schneidereien in der Umgebung Krefelds, aber auch überregional zum Beispiel in dem damals wichtigen Modestandort Berlin. Die Firma mit den drei jüdischen Partnern war erfolgreich und beschäftigte bis zu 60 Mitarbeiter. Richard Merländer, der aus einer armen Familie stammte, schaffte den Aufstieg zum Geschäftsmann, Hausbesitzer und Bonvivant. Er entwickelte Interesse an moderner Malerei. Eine besondere Beziehung entstand zu Heinrich Campendonk. Der aus Krefeld stammende Maler wohnte nach seiner Episode mit dem „Blauen Reiter“ für einige Jahre wieder in Krefeld. Ein Mäzen hatte ihm und seiner Familie ein Haus bauen lassen, für den Rest des Lebensunterhaltes musste der Künstler selbst aufkommen. So beschäftigte er sich notgedrungen wieder verstärkt mit der angewandten Kunst, schuf Bühnenbilder, Plakate, Dekorationen und hielt Vorträge über Farblehre. Richard Merländer kaufte 1924 von Campendonk das Hinterglasbild »Paradiesische Welten« und beauftragte ihn mit zwei Wandbildern für sein Kartenspielzimmer, der Deckenbemalung für das Speisezimmer und der Verzierung der Möbel seines heimischen Arbeitszimmers.
Das Schicksal dieser Kunstwerke ist eng mit dem Schicksal Richard Merländers verbunden. Als erstes, wahrscheinlich noch vor Beginn der Nazi-Herrschaft, wurden die Wandbilder mit Tapeten überdeckt. Grund war möglicherweise, dass der kleine Raum als Wohnzimmer für das Personal dienen sollte. Während des Novemberpogroms wurde das Glasbild beschädigt, weil jemand mit einem Stuhlbein darauf eindrosch. Richard Merländer verließ sein Haus, weil er sich nach dem Überfall nicht mehr sicher fühlte. Die Büromöbel machten diesen Umzug innerhalb Krefelds noch mit. 1941 wurde Merländer gezwungen, den Judenstern zu tragen und in ein »Judenhaus« umzuziehen. Die Campendonk-Möbel schenkte er der Haushälterin. Die Villa hatte er vorher verkaufen müssen. Das Haus war dann lange Jahre Hotel. Wann die Decke des Speisezimmers abgewaschen und geweißt wurde, ist ungewiss. Mit der Deportation und der Ermordung Richard Merländers ging auch das Wissen um die Wandbilder verloren.
Erst 1989 wurden die Bilder wiederentdeckt. 1991 wurde das Merländer-Haus zum NS-Dokumentationszentrum der Stadt Krefeld. 1996 zogen Teile des Kulturbüros in die Villa. 1998 konnten die Bilder nach Freilegung und leichter Restaurierung der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Die Villa Merländer enthält heute die Wandbilder, die Ausstellung »Krefeld und der Nationalsozialismus«, zwei Büros der NS-Dokumentationsstelle und die Verwaltung des Kulturbüros. Die Gedenkstätte bietet regelmäßige Öffnungszeiten und Veranstaltungen an.
Ingrid Schupetta
Weitere Informationen:
Der Villa Merländer e.V. – Förderverein der NS-Dokumentationsstelle der Stadt Krefeld