Das Wort Siedlung kommt von siedeln, sich ansässig machen, bezeichnet also einen menschlichen Wohnplatz. Man unterscheidet ländliche und städtische Siedlungen mit offener und geschlossener Bauweise.

Bockum, ursprünglich ein Haufendorf, eine ländliche Siedlung mit offener Bauweise, sieht man seine Entstehung heute noch an. Die gedrängte, massive rechtwinklige Blockbebauung in Krefeld, innerhalb und außerhalb der vier Wälle, ist das genaue Gegenteil und zeigt, wie man bis Ende des 19. Jahrhunderts versuchte, Wohnen und Arbeiten in einer (Industrie-)Stadt auf engstem Raum unterzubringen.

Die durch überbelegte enge und lichtarme Wohnverhältnisse hervorgerufenen großen Beeinträchtigungen der Stadtbevölkerung ließ um 1900 eine Bewegung entstehen, die unter dem Namen Gartenstadt nicht nur in Deutschland und später hier dann unter Bezeichnungen wie »Heimstätten« den Menschen Möglichkeiten geben wollte, in Siedlungen zu leben, in denen das Einzel- oder Doppelhaus mit großem Garten vorherrschen sollte. Für weniger bemittelte Kreise sollten sie bei sparsamer Bauweise, häufig auch mit Eigenleistung preiswert hergestellt werden und wohnlich und hygienisch einwandfrei sein. Es liegt auf der Hand, dass für solche Siedlungen freies, aber auch bezahlbares Gelände gesucht werden musste. Die Nutzgärten, oft 1.000 oder mehr Quadratmeter groß, sollten dazu dienen einen beträchtlichen Teil der Nahrung selber zu erzeugen und darüber hinaus den Bewohnern, falls sie auch anderweitig berufstätig sind, Gelegenheit geben, sich durch Bewegung in freier Luft zu erholen, nach 1933 sollte der »deutsche Arbeiter« hier wieder eine Verbindung »mit der heimatlichen Scholle« bekommen.

Schon direkt nach dem Ersten Weltkrieg wurden, um die große Wohnungsnot zu lindern, aber auch um den vielen Arbeitslosen und Kriegsversehrten neue Möglichkeiten zu geben, zahlreiche private »Siedlungsgesellschaften« gegründet. Es gab sie auf religiöser oder auch parteipolitischer Basis. In Form einer AG oder Genossenschaft waren sie gemeinnützig oder auf Gewinn, zum Beispiel durch Vermietung ausgerichtet, aber auch Industriebetriebe und öffentliche Körperschaften errichteten »Heimstätten« für ihre Mitarbeiter, die zum Teil gegen unkündbare Bodenrenten ausgegeben wurden.

Nicht jede Siedlung war ein Projekt in diesem Sinn. Die »Hindenburgsiedlung«, später Siedlung Kempener Feld, war ein ehemaliges Barackenlager mit Notkirche und Kindergarten in dem nach 1923 gut 300 Familien lebten. In dieser Zeit und auch in den Jahren danach entstanden auch in Krefeld eine ganze Fülle Ansiedlungen, die noch heute bestehen. Viele sind, trotz oder gerade wegen sparsamster Verwendung vorbildlich und stehen deshalb heute mit Recht unter Denkmalschutz. Einige sind ganz klein und bestehen nur aus einer Straße wie beispielsweise die Siedlung Egelsberg (1932) andere bilden schon fast ein ganzes Dorf mit Gemeinschaftsgebäuden und Einkaufsmöglichkeiten wie Lindental (ab 1920 bis 1939). Manche entstanden noch innerhalb des Stadtgebietes, wie beispielsweise die Gabelsbergerstraße (1922) eingeklemmt zwischen Eisenbahndamm und Gutenbergstraße und andere wuchsen am äußersten Stadtrand. Im Volksmund wurden sie dann Hippe- oder Jietebocksiedlung genannt, nach der Hausziege, die dort mit der Kleintierhaltung gefordert war. Aber das ist lange her.

Quelle:
Brockhaus in vier Bänden, Leipzig 1923

Georg Opdenberg

Die Ter Meer Siedlung – betrieblicher Wohnungsbau in Uerdingen

Die Ter-Meer-Siedlung, 2015. Foto: Ralf Janowski
Die Ter-Meer-Siedlung, 2015. Foto: Ralf Janowski

Namensgeber der Ter-Meer-Siedlung ist der promovierte Chemiker und Kommerzienrat Edmund ter Meer (* 31. Juli 1852, † 5. November 1931). Er gründete 1877 die Teerfarbenfabrik »Dr. E. Ter Meer & Cie«.

Synthetische Farbstoffe auf Anilinbasis waren zu dieser Zeit von der Textilindustrie sehr gefragt, da mit ihnen ganz andere Farbvarianten als mit Naturfarben möglich waren. Ter Meer entwickelte einen neuen gelben Farbstoff, der ihm einen ungeahnten Erfolg brachte und immer weitere Vergrößerungen des Werkes notwendig machte. 1896 verband er seinen Betrieb mit dem seines Studienkollegen Dr. Julius Weiler, der daraufhin seine Produktionsstätten von Köln nach Uerdingen verlegte. Aus diesem Betrieb entstand letztendlich das Bayer-Werk, der heutige »ChemPark«, der mit seinen Fabrik- und Kaianlagen die Uerdinger Rheinfront dominiert.

Die Industriellen dieser Zeit erscheinen aus heutiger Sicht sehr sozial geprägt. Sie kümmerten sich um die Verbesserung der Bildungs- und Gesundheitssysteme und engagierten sich oft im Wohnungsbau für ihre Mitarbeiter. Dieses Engagement beruhte aber darauf, dass Betriebe mit damaliger Hochtechnologie gut ausgebildete Facharbeiter benötigten, die nach ihrer Ausbildung auch möglichst lange im Betrieb produktiv beschäftigt werden sollten. Aus dieser Intention heraus entstand 1885 eine Betriebskrankenkasse, 1898 eine Pensionskasse sowie 1903 eine Unterstützungskasse zur weiteren Verbesserung der betrieblichen Altersvorsorge.

Die Ter-Meer-Siedlung, 2015. Foto: Ralf Janowski
Die Ter-Meer-Siedlung, 2015. Foto: Ralf Janowski

Der betriebliche Wohnungsbau fand im Vergleich dazu erst relativ spät statt, nämlich in den Notjahren nach dem Ersten Weltkrieg, als Wohnraum rar und kaum zu bezahlen war. Ter Meer beauftragte den renommierten Krefelder Architekten Heinrich Oediger (1865 bis 1938) mit der Planung einer Arbeitersiedlung, die nicht nur genügend Wohnraum für die Familien der Betriebsangehörigen bieten sollte, sondern auch Flächen zur Selbstversorgung umfasste. Daher kann man hier von einer Siedlung im Sinne der Gartenstadt-Bewegung sprechen. Die Planung wurde ursprünglich auf 116 Häuser ausgelegt. 1921 wurde der Grundstein der Siedlung gelegt.

Der Uerdinger Heimatbund hat in dem Heft »Os Oeding« anlässlich des 40jährigen Bestehens der Siedlung diese anschaulich beschrieben. Sie »umfasste die Ecke Ahornstraße, dann Schützen-, Ter-Meer-, Weilerstraße und Ter-Meer-Platz mit festen Fahrbahnen, Bürgersteigen, Gas- und Wasserleitung, elektrischem Licht und Kanalanschluss; der Durchgang Weilerstraße war beiderseits mit Torbögen überbaut, Ein- und Ausgang der Ter-Meer-Straße mit Kandelabern versehen, auf dem Ter-Meer-Platz eine Grünfläche von Ahornbäumen flankiert, an der westlichen Seite der Flora-Brunnen. Diese Siedlung wurde 1922 fertiggestellt nebst schönen Gartenanlagen, Obst-, und Beerensträuchern und Ziergärten«.

Wegen der sich immer weiter verschlechternden wirtschaftlichen Lage der Nachkriegsjahre wurde sie aber nur in reduzierter Form gebaut. Es entstanden daher nur 62 Häuser mit insgesamt 94 Werkswohnungen. Die Backsteinbauten wurden in dem damals zeittypischen Stilmix des Historismus erbaut und weisen voneinander abweichende Details auf. Damit wird das Gesamtbild der Siedlung etwas aufgelockert. Gleichzeitig erhielten die Gebäude damit auch eine Individualität in der Gestaltung, die eher als Heimat empfunden wurden als gleichartige uniforme Gebäude. Der zentrale Platz, um den sich die Häuser gruppieren, diente als Spielwiese und Gemeinschaftsplatz. In dem westlichen Torhaus entstand zudem eine Bibliothek für die Bewohner. Die Siedlung steht seit 1994 unter Denkmalschutz. Inzwischen ist sie mit dem TÜV-Gütesiegel »Geprüfte Lebensqualität in Siedlungen« ausgezeichnet. Das damals entstandene Wohnkonzept hat sich somit bis in die heutige Zeit bewährt.

Elisabeth Kremers

Unter dem Goldrad – nationalsozialistisches Siedlungsprojekt Lindental

Haus in der Siedlung Lindental, 2014. Foto: Ralf Janowski
Haus in der Siedlung Lindental, 2014. Foto: Ralf Janowski

Wer sich heute zu einem Spaziergang durch die Siedlung Lindental (Baubeginn 1920/21) aufmacht, findet schon auf dem Stadtplan Spuren der nationalsozialistischen Zeit. Auffallend sind die Straßennamen, die auch die beiden aufeinanderfolgenden Bauabschnitte deutlich machen. Im ersten Abschnitt, 1936 -1938 bebaut südlich vom alten Ferlingsweg, sind es »An de Plank« und »En et Bennert«. Der zentrale Platz heißt »Op de Pley«, alles alte mundartliche Bezeichnungen und an Flurnamen angelehnt. Im darauffolgenden Bauabschnitt nördlich davon finden sich Namen wie: Am Feierabend, Am Kinderhort, Arbeitsfrieden, Formerweg, Freizeitanger, Gießerpfad, Heimatplan, Hüttensteig, Schmelzergang und Zum Eisenhammer. Ursprünglich gab es noch die Straßen Goldrad (heute Gießerpfad) und Werkschardank (heute Formerweg). Sie wurden bereits im Mai 1947 umbenannt, weil sie zu deutlich an die NS-Zeit erinnerten. Goldrad war das Symbol der Deutschen Arbeitsfront: das Hakenkreuz in der Mitte eines Zahnkranzes. Werkschar war die Bezeichnung für die uniformierten Mitglieder der Deutschen Arbeitsfront, einer Organisation, die nach der Zerschlagung der Gewerkschaften im Mai 1933 eine Pseudo-Arbeitnehmervertretung bildete.

»Die DAF (Deutsche Arbeitsfront) soll den Arbeitsfrieden im Sinne des nationalsozialistischen Gemeinschaftsgedankens sichern« (Brockhaus 1937)

»Das ›Amt Feierabend‹ sorgt für … Veranstaltungen und Ausstellungen um den schaffenden Menschen zu den Kulturgütern der Nation zu führen« (Brockhaus 1937)

Straße »Arbeitsfrieden« in der Siedlung Lindental. Foto: Ralf Janowski
Straße »Arbeitsfrieden« in der Siedlung Lindental. Foto: Ralf Janowski

Auch innerhalb der Siedlung gibt es Hinweise, dass hier einst eine nationalsozialistische Mustersiedlung entstehen sollte. Die 259 Häuser, die von dem Architektenbüro Dahmen-Geilen-Nothoff geplant wurden, sind im Heimatstil gebaut. Die Materialien sollten vom Niederrhein stammen, der äußere Eindruck einem Bauernhaus entsprechen. Von der Grundstücksfläche von rund 1.000 m² durften Haus und Nebengebäude maximal 20% einnehmen, der Rest sollte dem Eigenanbau von Obst und Gemüse dienen. Einige der Häuser tragen an der Giebelseite die Jahreszahl ihres Baus.

Die Innenausstattung war eher schlicht gedacht: Wohnküche, zwei bis drei Wohn- oder Schlafräume, Wirtschaftsraum, Keller und Kleinviehstall schienen bedarfsgerecht. Die Dachräume sollten ausbaubar sein, falls bei wachsender Kinderzahl zusätzlicher Wohnraum benötigt würde. Bad und Toilette mit Wasserspülung fehlen in der Auflistung. Die gesammelten Fäkalien dachte man als nützlichen Dünger für den Garten. Die ersten Häuser wurden zu Weihnachten 1936 bezogen. Die Edelstahlwerke spendierten Obstbäume, Beerensträucher, Maschendraht und Hühner.

In der Planung der Siedlung gab es zwei Plätze: an dem Platz Op de Pley entstand 1937 ein kleines Einkaufszentrum mit einem Kolonialwarenladen, einer Tabakwarenhandlung und einem Frisör. Ein Relief im zeitgenössischen Stil zeigt noch heute den Siedler in typischer Rollenverteilung.

Der Heimatplan war als Versammlungsort (Aufmarschplatz?) der Siedler gedacht. Dort befand sich der Sitz der Ortsgruppe der NSDAP und der Deutschen Arbeitsfront.

Skulptur in der Siedlung Lindental von dem Bildhauer Theo Akkermann. Foto: Ralf Janowski
Skulptur in der Siedlung Lindental von dem Bildhauer Theo Akkermann. Foto: Ralf Janowski

Dass bei den Siedlern an die Arbeiter der naheliegenden Edelstahlwerke gedacht war, dürfte man inzwischen herausgefunden haben. Die Werke wollten mit den Siedlungshäusern eine qualifizierte Stammarbeiterschaft an sich binden, der sie aufgrund des staatlichen Lohndiktates keine direkten finanziellen Anreize bieten konnte. Bei der Auswahl der künftigen Bewohner mischten NS-Organisationen, Staat und städtische Behörden mit. Der damalige Baudezernent Dr. Hollatz formulierte dies während einer öffentlichen Ratssitzung im Januar 1937:

»Zur Erlangung einer Siedlerstelle ist die Beibringung eines Eignungsscheines erforderlich, der vom zuständigen Gauheimstättenamt ausgestellt wird. Die Erteilung der Eignungsscheine erfolgt nur, wenn gegen die Ansetzung des Siedlungsbewerbers und seine Familie als Kleinsiedler in politischer und charakterlicher, gesundheitlicher und erbbiologischer Hinsicht und gegen die siedlerische Befähigung keine Bedenken bestehen. Die Siedlerfamilien, namentlich auch die Siedlerfrauen, müssen sich zum Siedeln eignen, d.h. entsprechendes Verständnis für die Bodenbearbeitung und die Kleintierhaltung aufweisen, Gemeinschaftsgeist haben, lebenstüchtig, sparsam und strebsam sein.« (RLZ. 13. Januar 1937)

Trampelpfad in der Siedlung Lindental, 2014. Foto: Ralf Janowski
Trampelpfad in der Siedlung Lindental, 2014. Foto: Ralf Janowski

1937 wurde in der Straße Am Kinderhort 28 ein Gemeinschaftshaus gebaut. Im ersten Stock lagen ein Sitzungszimmer und ein großer Raum für Veranstaltungen, unter anderem der Hitlerjugend. In den Räumen im Erdgeschoss wurde der Werkskindergarten der DEW untergebracht. Die Bronzeplastik im Garten, die zwei balgende Jungen darstellt, wurde hierfür von dem Krefelder Künstler Theo Akkermann 1937 gefertigt und steht dort auch noch heute. Während des Krieges wurde eine Säuglingsstation eingerichtet (wegen der arbeitenden Mütter) und eine Wäscherei (wegen der Evakuierung der Frauen und Kinder). 1944/45 zog der Volkssturm in das Gebäude ein.

Schon bald zeichnete sich in der Siedlung ein Konflikt ab. Es gab entgegen der ursprünglichen Planung unter den Arbeitern nicht nur Nationalsozialisten, die aus der Kirche ausgetreten waren, sondern auch Katholiken, die ihre Religion weiterhin praktizierten. In dem Nazi-Dorf war aber keine Kirche vorgesehen. Die katholische Kirchengemeinde St. Tönis kaufte deswegen 1942 das Haus Forstwaldstraße 154. Sonntags wurden in den unteren Räumen Gottesdienst gefeiert. Dazu wurden alle Türen geöffnet, um einen größeren Raum zu schaffen. Die Gottesdienste hatten regelmäßig zwischen 40 und 100 Teilnehmer. Noch heute gibt es einen kleinen Trampelpfad, der von der Forstwaldstraße zu der Straße »An de Plank« führt.

Die kirchlichen Aktivitäten waren der NSDAP-Ortsgruppe Krefeld-Lindental ein Dorn im Auge. Sie versuchte die Gestapo einzuschalten, um weitere Gottesdienste zu verhindern. 1943 wurde das Abhalten des Gottesdienstes in dem Wohnhaus verboten; die Stadt Krefeld schob vor, dass die Nutzung von Wohnraum zum Abhalten von Gottesdiensten nicht erlaubt sei. Die Gemeinde wich in einen Schuppen aus. Auch weiterhin wurden Kaplan Schneider und seine seelsorgerischen Aktivitäten bespitzelt. Erst nach dem Krieg konnte die Gemeinde St. Michael gegründet werden.

Ingrid Schupetta

1.500 Urteile gegen Zivilisten in sechs Monaten

Belgier-Siedlung, Tenderingstraße. Foto: Ralf Janowski
Belgier-Siedlung, Tenderingstraße. Foto: Ralf Janowski

Von Juni 1919 bis Januar 1926 hatten in Krefeld belgische Militärs das Sagen. Die Besatzungsmacht überzog die Bevölkerung mit vielerlei Vorschriften.

Mitten in die Nachkriegswirren der 1920er Jahre führen Fragen nach »den Belgiern« in Krefeld. Die Stadt hatte sich als Oberzentrum am Niederrhein betrachtet und musste nun, nach dem verlorenen ersten Weltkrieg, mit seiner Besetzung die Kehrseite der Medaille kennenlernen. Über hundert Jahre waren seit dem Abzug der napoleonischen Truppen vergangen, als die belgischen Soldaten das Leben in der Stadt tiefgreifend veränderten. Die Krefelder fühlten sich in ihrer Freiheit eingeschränkt und mussten von den belgischen Besatzern ähnliche Demütigungen einstecken, wie diese sie empfunden haben mochten, als deutsche Soldaten ihr Land ausplünderten.

Sieben Jahre gaben in der Stadt belgische Militärs den Ton an, sieben Jahre, die – historischen Quellen zufolge – für die Krefelder Bürger nicht nur magere waren, sondern bedrückende, in denen sie oftmals die Faust in der Tasche machten. Oder auch nicht: Zu einem Monat Gefängnis verurteilte das Polizeigericht den Wirt Karl Schmitz, weil er in seinem Lokal nicht gegen eine Schlägerei zwischen belgischen Soldaten und Krefelder Bürgern eingeschritten war. 350 Francs Geldstrafe kostete es einen anderen Krefelder, dass er einen Befehl missachtet hatte. Im ersten halben Jahr der Besatzungszeit hatte das Polizeigericht 1.500 solcher Urteile vorzuweisen. Die Stimmung der Bevölkerung war angesichts rationierter Lebensmittel und galoppierender Geldentwertung ohnehin gedrückt. Dass man sich fast täglich mit neuen Verboten und Anordnungen herumzuschlagen hatte, lud sie auf. Die hohen Militärs bestimmten, was die Stunde schlug und wie oft die Glocken geläutet werden durften; sie zensierten die Tageszeitungen und kappten alle Verbindungen zur rechten Rheinseite, ja, vor den Feldzeichen der belgischen Armee hieß es gar, den Hut zu ziehen. Sie untersagten das Fotografieren auf offener Straße und ignorierten Briefe in deutscher Sprache. Die Lokalzeitungen hatten die Aufgabe, die gesetzesgleichen Anordnungen der Rheinlandkommission zu veröffentlichen: neue Verordnungen, Verbote von Büchern und Filmen.

Belgier Siedlung, von-Steuben-Straße 34. Foto: Ralf Janowski
Belgier Siedlung, von-Steuben-Straße 34. Foto: Ralf Janowski

Die Offiziere in ihren khakifarbenen »englischen« Uniformen waren anfangs im Krefelder Hof, später in »Bürgerquartieren« untergebracht, ehe 1921 Am Hohen Haus die ersten Wohnhäuser für belgische Offiziersfamilien entstanden. Die Krefelder Architekten August Biebricher und Peter Frank zeichneten für die mehrgeschossigen Backsteinbauten verantwortlich.

Die uniformierten Fremden waren in den Straßen allgegenwärtig und doch isoliert. Die Kasernen, Schulen und Barackenbauten, in denen die einfachen Soldaten untergebracht waren, dürften wie auch die Offizierswohnungen Inseln in einer ablehnend gestimmten Umgebung gewesen sein.

Heute stechen die renovierten hellen Fassaden an der Von-Steuben-Straße hervor. Unwillkürlich bleibt der Blick hängen an einer abgerundeten Hausecke, dem Balkon darüber und dem Walmdach; an der strengen neoklassizistischen Fenstergliederung und an ungewöhnlichen vieleckigen und ovalen Elementen. Hans-Peter Schwankes Architekturführer vermerkt unter den Hausnummer 14 bis 34 sowie für die Tenderingstraße 2, 4, 7, 9, 11 und Neuer Weg 80, 82, 84, 86: »Wohnbauten für Offiziersfamilien der belgischen Besatzung«. Entworfen und errichtet hat sie 1926 der Architekt Franz Lorscheidt. Die größte belgische Garnison wurde schon im Januar 1926 geräumt. Die ansprechenden Bauten, die das Reichsneubauamt damals in Auftrag gegeben hatte, sollten ursprünglich höheren belgischen Militärs vorbehalten sein. Angesichts der herrschenden Wohnungsnot zum Zeitpunkt des Truppenabzugs kamen schließlich Einheimische in den Genuss einer vergleichsweise komfortablen Bleibe.

Ende der Besetzung

Die Besetzung der Kölner Zone endete am 31. Januar 1926. Das war ein Jahr nach dem im Versailler Vertrag festgelegten frühest möglichen Zeitpunkt. Fast ein halbes Jahr früher waren die letzten Truppen aus dem Ruhrgebiet abgezogen. Beim Seyffardt-Denkmal am nördlichen Ende des Ostwalls fand ein offizieller Festakt statt, auf dem der Oberbürgermeister eine Rede hielt. Glocken läuteten, Menschen zogen mit Fackeln durch die Stadt und trafen sich zu Dankgottesdiensten.

Irmgard Bernrieder

Einige Gedanken zur Ritterfeldsiedlung

Schlagbaumsweg/Tor zur Nernststraße, Linolschnitt von Georg Opdenberg, 11,2 × 8,2 cm, 2013. Foto: Künstler
Schlagbaumsweg/Tor zur Nernststraße, Linolschnitt von Georg Opdenberg, 11,2 × 8,2 cm, 2013. Foto: Künstler

Um die enorme Wohnungsnot nach dem Ersten Weltkrieg zu lindern wurde 1921 von der Stadtverwaltung der Plan zum Bau von circa 300 Wohnungen in eigener Regie gefasst. Südlich der Ritterstraße, der Name entstand um 1850 und bezog sich auf den Rittershof, der ursprünglich »Rutgers Hof« hieß und zum Kloster Meer gehörte, entstanden nach Entwürfen von Franz Lorscheidt, Krefeld, (1887 bis 1962) in einem ersten Bauabschnitt 95 Wohnungen in 62 Häusern.

Die Häuser, die schon im Oktober 1922 bezogen werden konnten, liegen außen, entlang der Straßen, während sich die dazugehörenden, von hohen Hecken abgeschirmten, verschachtelten Gärten nach innen ausrichten. Die Backsteintore an der Ritter- und Siemensstraße sowie ein Torhaus schließen den Innenbereich des ersten Siedlungsabschnittes ab. Die einfachen, meist zweigeschossige Bauten mit Satteldach enthielten in der Regel nur eine Wohnung und waren verputzt. An der Ritterstraße liegen dreigeschossige Mehrfamilienhäuser mit Erkern, in den Eckbauten waren ursprünglich Ladenlokale eingebaut. Im Inneren des konischen Baublocks gibt es eine kleine H-förmige Bebauung mit einem begrünten öffentlichen Platz als Mittelpunkt. Die fortgeführten Seitenstraßen hin zur Eisenbahnunterführung rahmen den dreieckigen Voltaplatz vor der Siedlung. Die großen, geräumigen Wohnungen waren überwiegend für Beamte der Post- und Finanzbehörden vorgesehen und kosteten je nach Größe zwischen 10 und 50 Reichsmark.

Tor zur Ritterfeldsiedlung, von der Ritterstraße aus gesehen, 2014. Foto: Ralf Janowski
Tor zur Ritterfeldsiedlung, von der Ritterstraße aus gesehen, 2014. Foto: Ralf Janowski

In den folgenden Bauabschnitten (1925 bis 1927) südlich der Virchowstraße und westlich der Siemensstraße wurden weitgehend Mehrfamilienhäuser erstellt. Sehr auffällig treten in Form ziegelverkleideter Treppenhaustürme, Eingänge und Wohnerker in den Vordergrund. Im südlichen Teil der Nernststraße sind die Eingangszonen nicht nur durch die Verwendung unterschiedlicher, auch farblich differenzierter Ziegellagen betont, sondern auch durch voll plastische Standfiguren. Männer und Frauen sind gegenübergestellt und alle mit Attributen aus ihrer Arbeitswelt versehen, – ein deutliches Bild für die Gleichberechtigung der Arbeit. Neben historischen Rückgriffen beispielsweise an den Giebelfeldern gibt es auch expressionistische Elemente und Verweise auf den Art Deco. Erwähnenswert sind auch die Schmuckteller von Peter Bertlings (1885 bis 1982, von 1910 bis 1950 Lehramt an der Werkkunstschule Krefeld) als Erkennungszeichen an den kleinen Reihenhäusern im Süden der Siedlung. Bedauerlicherweise ist der Denkmalschutz, zumindest was Fenster und Türen anbelangt, fast spurlos an dieser Siedlung vorbeigegangen.

Georg Opdenberg

Quelle:
Hans-Peter Schwanke, Krefeld 1996, Architekturführer Krefeld

Weitere Information:
Westdeutsche Zeitung vom 24. Januar 2017: »Schmuckstücke der Nernststraße – Sprecher der Baudenkmal-Stiftung ärgert sich über den Zerfall alter Häuser. Ein Rundgang.« von Chrismie Fehrmann

Die Gartenstadt – ein Krefelder Ortsteil im Grünen

Krefelder Flugplatz 1927. Foto: Stadtarchiv Krefeld, Luftbild Kern, Fotobestand, Objekt-Nr. 2378-18531
Krefelder Flugplatz 1927. Foto: Stadtarchiv Krefeld, Luftbild Kern, Fotobestand, Objekt-Nr. 2378-18531

Da wo sich heute der Ortsteil Gartenstadt befindet, erstreckte sich früher der Krefelder Flughafen. An ihn erinnert heute noch ein Gedenkstein, den der Bürgerverein Gartenstadt 1991 gestiftet hat.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde von der Stadt Krefeld die Wirtschaftsförderung energisch vorangetrieben. Man versuchte dabei, die Stadt von der reinen und damit krisenanfälligen Textilstadt auf ein breiteres Fundament zu stellen. Der Bau des Krefelder Hafens und der Husarenkaserne, beide 1906, fallen mit unter diese Bemühungen, die auch zum Bau eines Flughafens führten. Die Verhandlungen mit den Grundeigentümern über den Ankauf des Geländes zogen sich immer weiter in die Länge. Durch den Ausbruch des ersten Weltkrieges entstand daher erst 1916 eine Militärfliegerstation mit den entsprechenden Betriebsgebäuden. Hier wurden auch die beiden Fliegerasse Emil Schäfer und Werner Voss ausgebildet. Zwei Straßen in Gartenstadt erinnern heute noch an diese beiden Weltkriegsflieger.

Nach dem Krieg übernahmen die Besatzungsmächte den Fliegerhorst. Erst nach deren Abzug 1926 ging das Gelände wieder an die Stadt Krefeld. Der zivilen Luftfahrt stand nun zwar nichts mehr im Weg, aber die Entwicklung führte dann letztendlich zum Ausbau des Düsseldorfer Flughafens als Verkehrsflughafen, obwohl die Deutsche Lufthansa den Krefelder Flugplatz über etliche Jahre im Linienverkehr bediente. Ab 1936 stand dann die Nutzung als Militärflugplatz im Vordergrund. In der Nachkriegszeit verlor der Platz seine Bedeutung, da seine Start- und Landebahnen zu kurz waren. Das Gelände lag daraufhin brach.

Blick auf Gartenstadt mit Lukaskirche, 1973. Foto: Stadtarchiv Krefeld, Fotobestand, Objekt-Nr. 11009-10-15703
Blick auf Gartenstadt mit Lukaskirche, 1973. Foto: Stadtarchiv Krefeld, Fotobestand, Objekt-Nr. 11009-10-15703

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war die Wohnungsnot enorm. Durch den Bombenkrieg mit seinen Zerstörungen kamen die Flüchtlinge aus den östlichen Gebieten, die untergebracht werden mussten. Anfangs rückte man enger zusammen, was auf Dauer aber nicht zumutbar war. Es musste dringend neuer Wohnraum geschaffen werden. Für den Bau eines neuen Stadtteils bot sich das Gelände des ungenutzten Flughafens geradezu an. Im September 1947 wurde bei der Militärregierung bereits der Antrag auf Freigabe zum Wohnungsbau gestellt. Aber erst 1950 folgte die Militärregierung dem Antrag und gab den nördlichen Teil zur Bebauung frei. Die Vermessungsarbeiten wurden umgehend aufgenommen und ein Bebauungsplan erstellt, so dass 1953 mit den Bauarbeiten an dem neuen Stadtteil begonnen werden konnte.

Bei der Anlage des neuen Stadtteils hat man moderne Erkenntnisse des Wohnungsbaus berücksichtigt und sehr viel Wert auf eine intensive Durchgrünung des neuen Stadtteils gelegt. Daher erhielt der Stadtteil den Namen Gartenstadt, obwohl er nicht nach den Forderungen der Gartenstadt-Bewegung gebaut wurde. Man versuchte zwar auch eine räumliche Nähe von Arbeit und Wohnen zu schaffen, als man das benachbarte Gewerbegebiet anlegte. Es musste aber viel mehr Wohnraum geschaffen werden, als im normalen Siedlungsbau möglich gewesen wäre. Daher entstand Gartenstadt als eigener Stadtteil mit einer kompletten Infrastruktur, die von der Kirche bis hin zu Einkaufsmöglichkeiten reicht. Besonders erwähnenswert ist dabei die katholische Pfarrkirche St. Pius X. Sie wurde 1967/68 nach den Plänen des Architekten und Stadtplaner Josef Lehmbrock (1918 bis 1999) erbaut und erhielt 1969 die Auszeichnung vom Bund Deutscher Architekten als vorbildliches Bauwerk der Nachkriegszeit.

Elisabeth Kremers

Weitere Information:
Kurt Hausmann und Lydia Zöller: Gartenstadt/Elfrath – ein neuer Krefelder Stadtteil. In: Die Heimat, Krefelder Jahrbuch, Band 61, 1990, Seite 93 ff