Alte Samtweberei an der Lewerentzstraße, 2014. Foto: Ralf Janowski
Alte Samtweberei an der Lewerentzstraße, 2014. Foto: Ralf Janowski

Buntheit signalisiert jener in die Jahre gekommene Begriff »Multikulti« noch immer, aber er hat sich im Laufe der Zeit auch eine leicht abwertende Nuance zugezogen, weil sich vielerorten die hohen Hoffnungen, die man in eigendynamische Prozesse in betreffenden Stadtteilen gesetzt hatte, nicht einlösten. Die verantwortlichen Stellen in Stadt und Land haben jedoch dazugelernt und versuchen seit 1998 durch übergreifende Fördermaßnahmen positive Entwicklungen anzustoßen.

Das Samtweberviertel im Süden der Stadt soll ein Krefelder Vorzeige-Quartier rund um die Alte Samtweberei werden. Die kulturelle Vielfalt, für die Menschen aus aller Herren Länder bürgen, stellen gleichermaßen Reichtum und Herausforderung dar. Die Montagsstiftung Urbane Räume und die Stadt Krefeld stehen in den aktuell vor der anspruchsvollen Aufgabe, Defizite wettzumachen, die sich hauptsächlich in hoher Jugendarbeitslosigkeit zeigen und deren man bislang trotz ausreichender öffentlicher und gemeinnütziger Institutionen wie Kindertagesstätten, Schulen, Sprachförderung- und Weiterbildungsangeboten nicht Herr wird.

Den Südbezirk kennzeichnen einige markante Industriedenkmäler. Das Zentrallager der Konsumgenossenschaft Niederrhein entwarf und baute Karl Buschhüter im Jahr 1909 nach dem Vorbild von Speicherhäusern des 19. Jahrhunderts. Der Architekt setzte mit dem Lagerbau neue architektonische Maßstäbe und sich klar vom herrschenden Historismus ab.

Die Brotfabrik »Im Brahm« an der Ritterstraße, 2014. Foto: Ingrid Schupetta
Die Brotfabrik »Im Brahm« an der Ritterstraße, 2014. Foto: Ingrid Schupetta

Ein Jahr später wuchs gleichfalls an der Ritterstraße nach Plänen von Robert Adrian eine Großbäckerei aus dem Boden, die als Alte Brotfabrik bekannt ist. Dieses bedeutendste Zeugnis genossenschaftlichen Fabrikbaus in Krefeld beherbergt heute Ateliers und das Off-Theater »hintenlinks«. Ein gutes Dutzend Künstlerateliers sind über den gesamten Südbezirk verstreut.

Am 4. März 2006 begann für das Theater »Die Komödianten« eine neue Ära: als theater hintenlinks. ließ es sich in der Alten Brotfabrik an der Ritterstraße 187 nieder. Die Spielpläne orientieren sich seither an den Erfahrungen aus sechs »Krefelder Zelttheatern«, die in den Jahren 2000 bis 2005 im Krefelder Stadtwald stattfanden. Darüber hinaus sind Peter und Anuschka Gutowski und ihr Team dem Experiment jedoch immer verbunden.

Die alte Tapetenfabrik Heeder wird seit 1989 als städtisches Kulturzentrum genutzt. Umbau und Erweiterung der Anlage für 6,2 Millionen Euro wurde im April 2006 gefeiert. Der damalige Kulturdezernent Roland Schneider sprach von einem neuen »Schmuckstück« der Stadt. In dem historischen Gebäude gegenüber der Rückfront des Hauptbahnhofs wird seither ein facettenreiches kulturelles Programm geboten, zu dem auch Produktionen desKRESCH(Kinder- und Jugendtheaterzentrum der Stadt Krefeld) und Gastspiele gehören.

Die Kulturfabrik nutzt seit Oktober 1983 Teilgebäude des alten städt. Schlachthofs für ein überregional anerkanntes Konzertprogramm.

Nach 1920 entstand die Siedlung »Ritterfeld« an der Ritterstraße: Mehrfamilienhäuser für Mitarbeiter und Mitglieder der Konsumgenossenschaft: 95 Wohnungen in 62 Häusern. Den ersten Bauabschnitt betreute Franz Lohrscheidt.

St. Martin

St. Martin, Einweihung 1931. Foto: Stadtarchiv Krefeld, Fotobestand, Objekt-Nr. 6861-2359
St. Martin, Einweihung 1931. Foto: Stadtarchiv Krefeld, Fotobestand, Objekt-Nr. 6861-2359

»Hinter dem Bahndamm«, das verhieß lange Zeit wenig Gutes. Gerade in den Mangeljahren nach der Weltwirtschaftskrise 1928 markierte diese Ortsangabe eine Arme-Leute-Gegend. Bahnhöfe waren aus erschließungstechnischen Gründen in der Peripherie der Städte angelegt, und die Gleise fungierten gleichsam wie Zäune um die »gute« bürgerliche Gesellschaft einer Stadt. Wer hinter diesen Gleisen lebte, gehörte meist der Arbeiterschaft an und zählte in konservativen Kreisen zu den »Roten«.

Die soziale und wirtschaftliche Benachteiligung des Südbezirks seiner Pfarre, der jenseits des Bahndamms lag, konstatierte 1913 der Pfarrer der Krefelder St. Josefskirche, Dr. Hermann Josef Sträter, und forderte dafür eine eigene Pfarre. Der Kirchenneubau wurde bewilligt, konnte jedoch wegen des zwischenzeitlich ausbrechenden 1. Weltkriegs erst 1927 in Angriff genommen werden. Unter den 122 Bewerbern eines Wettbewerbs wählte die Jury unter Vorsitz des Kölner Stadtbaumeisters Moritz den Entwurf von Professor Caspar Lennartz aus, seines Zeichens Leiter der Krefelder Kunst- und Gewerbeschule. Grundsteinlegung war am 29. Juni 1930, am 26. Juli des Folgejahres wurde das Gotteshaus St. Martin als Mittelpunkt des neuen Seelsorgebezirks eingeweiht.

Mit diesem Sakralbau stellte sich die architektonische Moderne in Krefeld ein, denn es ging zum Einen erstmals darum, beim Kirchenbau eine städtebauliche Lösung zu finden: Die Kirche samtNebengebäuden sollten in eine Baulücke eingepasst werden. Zum anderen wurde nicht die 1914 geplante neogotische Hallenkirche gebaut, sondern eine kastenförmige Saalkirche und ein Turm, sowie eine Kaplanei aus Backsteinmauerwerk. Der basilikal gestufte, querschiff- und stützenlose Hallenbau öffnet sich zur westlichen rechteckigen Apsis mit einer drei Meter höheren Decke und betont so den Altar. Leider verlor sich diese ursprüngliche Innenwirkungdurch einen Umbau im Jahr 1968.

Lennartz’ Gestaltung mit Elementen des romanischen Kirchenbaus – hölzerne Flachdecke und Rundbogenfenster– lehnte sich an die kurz zuvor von Rudolf Schwarz und Hans Schwippert in Aachen errichtete Fronleichnams-Kirche an, die sich ihrerseits an Bauhaus-Regeln hielt.

»Kann Armut nicht schön sein?«

St. Bonifatius in Krefeld-Stahldorf, Innenhof, 2014, 1958/59 nach dem Entwurf von dem Architekten E. Steffann erbaut. Foto: Ralf Janowski
St. Bonifatius in Krefeld-Stahldorf, Innenhof, 2014, 1958/59 nach dem Entwurf von dem Architekten E. Steffann erbaut. Foto: Ralf Janowski

Nach dem Vorbild einer Gemeinschaftsscheune, die er 1942/44 im Rahmen des lothringischen Wiederaufbauprogramms im Dorf Boust errichtet hatte, entwarf Emil Steffann (heute Steffan) die St. Bonifatius-Kirche in Krefeld-Stahldorf. Es handelt sich um einen richtungsweisenden Kirchenbau, der mit einem den Gläubigen zugewandten Altarttisch Liturgiereformen des 2. Vatikanischen Konzils 1962/65 vorwegnimmt. Immer mehr Arbeiter mit ihren Familien zogen zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Stahldorf. Sie waren überwiegend katholischen Glaubens, mussten sich aber mit einer Notkirche zufrieden geben, die 1912 und 1916 eingeweiht wurde. Über vierzig Jahre sollte es dauern, bis am 20./21. Juni 1959 der ersehnte Kirchenneubau endlich eingeweiht werden konnte. Die Deutschen Edelstahlwerke (Thyssen Edelstahl Werke, TEW), größter Arbeitgeber im Stadtteil, schenkten der Kirchengemeinde das Grundstück und unterstützten handwerkliche Arbeiten durch ihre Lehrwerkstatt.

Betont schlicht hielt Steffan den Kircheninnenraum. »Kann Armut nicht schön sein?«, soll er zum damaligen Gemeindepfarrer Mertens gesagt haben.

In den 55 Jahren seither veränderte der sich wandelnde Zeitgeist in Gestalt sakraler Kunstwerke die Innenausstattung, ohne jedoch den einfachen Grundcharakter aufzuheben.

Architekturprofessor Otto Lüfkens leitete den Umbau des Altarraums, der einen neuen Tabernakel nach Entwürfen von Theo Heiermann erhielt, dessen Handschrift sich auch am Ambo und an einem Brunnen zeigt. Hubert Spierling gestaltete die neuen Kirchenfenster. Für Orgel und Orgelprospekt zeichneten Heinz Wilbrand und Professor Erich Heyne verantwortlich. Andere bedeutende Künstler wie Elmar Hillebrand – mit seinem Osterleuchter, dem Taufbrunnen-Deckel und einem Hängekreuz – und Egino Weinert mit seinem Kreuzweg prägen den neu beleuchteten Innenraum.

Irmgard Bernrieder

Weitere Information:
Pastor Norbert Rutten hat »seinem« Gotteshaus einen illustrierten Kirchenführer gewidmet: St. Bonifatius Krefeld Stahldorf, Verlag Schnell & Steiner GmbH, ISBN 978-3-7854-6338-0

Konnsumm in Krefeld

Das Wandbild an der Fassade der Alten Brotfabrik erinnert an seinen Schöpfer, den Krefelder Schildermaler Richard Hütter. Als aufrechter Kommunist versuchte er in den Kellerräumen eines Schreberhäuschens Flugblätter gegen die nationalsozialistische Politik zu drucken. Er wurde verraten und von den Nazis ins KZ Börgermoor verschleppt, wo er starb. Foto: Ralf Janowski
Das Wandbild an der Fassade der Alten Brotfabrik erinnert an seinen Schöpfer, den Krefelder Schildermaler Richard Hütter. Als aufrechter Kommunist versuchte er in den Kellerräumen eines Schreberhäuschens Flugblätter gegen die nationalsozialistische Politik zu drucken. Er wurde verraten und von den Nazis ins KZ Börgermoor verschleppt, wo er starb. Foto: Ralf Janowski

Ein pausbäckiger Junge wirbt auf einer Riesenreklame an einer Hauswand an der Ritterstraße 187 für ein Brot, das es schon lange nicht mehr gibt und führt die Besucher des sogenannten Im-Brahm-Komplexes freundlich in die Irre.

Denn eigentlich gehört zu den Häusern 181 bis 189 eine ganz andere Geschichte. Das 19. Jahrhundert war in Krefeld durch eine ständige Zuwanderung von Arbeiten und Arbeiterinnen vom Lande geprägt. Das Bevölkerungswachstum war dadurch enorm. Innerhalb kürzester Zeit wurde Krefeld zur Großstadt. Die Fabrikbesitzer konnten sich nicht nur die Arbeitskräfte aussuchen, sondern den Lohn drücken, die Arbeitsbedingungen diktieren und die Organisation ihrer Beschäftigten verhindern. Arbeiterinnen und Arbeiter wurden aber nicht nur am Arbeitsplatz ausgebeutet, sondern auch von Krämern, bei denen sie wegen ihres unstetigen Einkommens »anschreiben« lassen mussten, das heißt, sie mussten sich verschulden. Als Bittsteller konnten sie sich nicht dagegen wehren, wenn die überwiegend lose verkaufte Ware Füllstoffe enthielt oder allzu knapp gewogen wurde – von einem Preisdiktat ganz zu schweigen.

Um sich wenigstens an dieser Stelle zu wehren, entstanden um die Jahrhundertwende in Krefeld die Konsumgenossenschaften »Fortschritt« und »Solidarität«. Ziel der Genossenschaften, die der Arbeiterbewegung nahe standen, war die Versorgung der Mitglieder mit unverfälschten und korrekt gewogenen Lebensmitteln zu kleinen Preisen. In der Sozialdemokratie wurde die Idee entwickelt, dass die Genossenschaften ein wichtiger Schritt zu einer selbstverwalteten Wirtschaft sein sollten.

Gründer der »Konsumgenossenschaft Niederrhein«. Repro: Dr. Ingrid Schupetta
Gründer der »Konsumgenossenschaft Niederrhein«. Repro: Dr. Ingrid Schupetta

1908 schlossen sich die beiden Konsumgenossenschaften zusammen und errichteten an der Ritterstraße das heute noch sichtbare Backsteingebäude. Das Zentrallager (»Lagergebäude mit Stallung«) im Hof ist ein Werk des Krefelder Architekten Karl Buschhüter. Die Gebäude an der Straße sind nach einem Entwurf von Rudolf Adrian aus Lüdenscheid gebaut. Auffallend an der Backsteinfassade ist das dreieckige helle Giebelrelief. Es zeigt drei Figuren. Zwei nackte Männer (die Genossenschaften) reichen sich unter dem Segen einer engelsgleichen Figur (Gerechtigkeit) die ausgestreckten Hände.

Fortan war hier das Zentralgebäude der Konsum- und Produktivgenossenschaft Niederrhein. Die Lage am Hauptbahnhof war wichtig, um Güter anzuliefern, die an Ort und Stelle umgeschlagen wurden, denn von hier aus wurden die Konsumläden beliefert, die überall in den Arbeitervierteln verteilt waren. Den Ansprüchen an die Produkte war die Idee gefolgt, Lebensmittel auch selbst zu produzieren. So entstanden eine Limonadenfabrik und eine moderne Großbäckerei mit 10 Backöfen. Außerdem gab es eine Bauhütte für die Arbeiter.

Der Betrieb lief auch in der Zeit des Ersten Weltkrieges weiter. Bis 1926 wurde er von der belgischen Besatzung der Stadt genutzt. Danach ging er an die Genossenschaft zurück. Allerdings konnte die Genossenschaft nur relativ kurze Zeit weiterexistieren, denn 1933 verbot der nationalsozialistische Staat die Organisationen der Arbeiterbewegung und beschlagnahmte das Vermögen als staatsfeindlich. Obwohl sich die Genossenschaft zunächst wehren konnte, wurde sie doch enteignet. Einige Zeit stand das Gebäude leer, dann wurde die moderne Backstraße 1934 von dem Käufer Im Brahm (Marxloh-Homberger Brotfabrik) übernommen. Zu dieser Zeit wurde vermutlich die erste Version des Im Brahm-Jungen gemalt. Sie ist ein Entwurf des Schildermalers Richard Hütter, der später des Kommunismus verdächtigt wurde, – aber das ist eine eigene Geschichte.

Ob die Genossenschaft wegen Verfolgung und Enteignung nach dem Krieg entschädigt wurde, ist bislang ungewiss, aber unwahrscheinlich. Im Brahm produzierte jedenfalls bis 1983 weiter. Danach sollte das Gebäude abgerissen werden. Glücklicherweise wurde es 1985 unter Denkmalschutz gestellt. 1999 erklärte sich die Krefelder Wohnstätte zu einer Grundsanierung bereit. Bei der Gelegenheit erneuerte man auch das Fassadenbild.

Heute (2014) haben sich vorwiegend Kreative in dem Gebäude niedergelassen. In dem Buschhütertrakt hat das Theater hintenlinks seine Bühne. Produktiv ist man hier also weiterhin.

Ingrid Schupetta