Zur weiteren Ausstellungsgeschichte des Kaiser Wilhelm Museums

Die Welt war aus den Angeln in den ersten Nachkriegsjahren. Bomben hatten auch in Krefeld ganze Häuserzeilen in Schutt und Asche gelegt.

Das Kaiser Wilhelm Museum aber blieb inmitten allgegenwärtiger Zerstörung weitgehend intakt. Rechte Freude mochte aber unter den Krefelder Kunstfreunden nicht aufkommen,denn das Haus der Kunst war fürs Erste fremdbelegt: Das Steueramt, die Kämmerei und die Stadtkasse, Presse- und Kulturamt wurden wegen der herrschenden Raumnot im Museum untergebracht. Sitzungszimmer der Ratsparteien, das Heimatmuseum und das Collegium Musicum machten sich am Karlsplatz breit. An ein Wiedersehen mit der kriegsbedingt ausgelagerten Museumssammlung war zunächst nicht zu denken, selbst Raum für Wechselausstellungen zu schaffen, fiel in dem überfüllten Gebäude schwer. Dach und Fenster des Museums waren zwar undicht, das aber schreckte die Kunstinteressierten nicht ab, in hellen Scharen in Vorträge über Kunst zu strömen.

Die »progressive« Künstlergruppe 45 zeigte im Sommer 1946 eine erste Ausstellung. Eine »konservative« Künstlervereinigung tat es ihr gleich. Es galt anzupacken. Der Museumsverein nahm wieder einmal das Heft in die Hand und präsentierte die Ausstellung »Expressionismus in Malerei und Plastik«. Paul Wember hatte diese Schau im Vorfeld seiner Bewerbung gesehen und bewundert. Später schrieb er: »Es war mit einem Schlag der Nachholbedarf dessen, was man 12 Jahre lang vermißt hatte. Die Epoche war historisch, die Arbeiten aber wirklich wie neu und gegenwärtig.« Teile der Krefelder Bürgerschaft sahen das ganz anders. Sie machten kein Hehl aus ihrer Ablehnung moderner Kunst. Für Wember blieb »der Kampf um den Platz der Kunst im Leben der Gesellschaft« auch nach der nationalsozialistischen Barbarei Thema. Er sollte seine Ägide als Museumsdirektor prägen.

Die beiden kommissarischen Leiter – Kulturamtsleiter Janssen und der Archäologe Albert Steeger – taten sich im Frühsommer 1947 in der Ausstellung»Niederrheinische Gläser und Glasmalereien« zusammen und stießen damit auf einhellige Zustimmung der Besucher. In der letzten Ausstellung der Interimszeit wurden Plastiken und Zeichnungen des im Krieg gefallenen Krefelder Bildhauers Günter von Scheven gezeigt.

Nachholbedarf bestimmte die Museumsarbeit von Paul Wember, der sein Amt am 1. Oktober 1947 antrat. Der neue Museumsmann hatte gleich zu Anfang ein Jubiläum zu stemmen: das 50-jährigen Bestehen seines Hauses. Er nutzte den Repräsentationswillen der Politiker und konnte im Rahmen der Jubiläumsaktivitäten einige Räume im Museum für die Kunst zurückerobern. In der Geburtstagsausstellung waren erstmals seit der Auslagerung wieder wichtige Kunstwerke der Museumssammlung zu sehen. Sie wurden von den Krefeldern begeistert willkommen geheißen. Gleichzeitig stellte Wember Arbeiten von Karl Schmidt-Rottluff vor, des expressionistischen Künstlers, der schon in der Kunstwelt der 1920er Jahre eine wichtige Rolle gespielt hatte und in der Nachkriegs-Gegenwart wieder Beachtung fand. So unterstrich der Kunsthistoriker die positiven Kunst-Kontinuitäten, die das »Tausendjährige Reich« unkorrumpiert überdauert hatten.

Architektur-Ausstellungen im KWM

Die kriegszerstörten Städte in Deutschland und Probleme ihrer baulichen Erneuerung rückten moderne Architektur in den Mittelpunkt der Kunstwelt. Auch am Kaiser Wilhelm Museum kam die moderne Architektur als neues Aufgabenfeld zur Museumsarbeit hinzu.

Die erste Ausstellung war dem Architekten Domenikus Böhm gewidmet und wurde viel beachtet. Später folgten die Ausstellungen »Krefeld im Wiederaufbau« und August Biebricher. Die Hans-Poelzig-Retrospektivewurde zu einem unerwarteten Höhepunkt: Theodor Heuß eröffnete die Ausstellung seines verstorbenen Freundes, und dessen namhafte Schüler Rudolf Schwarz, Egon Eiermann, Werner Tamms und F.G. Winter wohnten der Vernissage bei. Die Ausstellung über das Werk Le Corbusiers im Jahre 1958 brachte mit 10.000 Besuchern ein Rekordergebnis.

»Kann das Kunst sein?« – Gegenwartskunst im Museum

»Heute möchten wir jeweils avantgardistische Kunst zu einer Manifestation des Gegenwartschaffens vereinigen. Wir möchten die jeweils jüngste Entwicklung zeigen, durch Erwerbungen und durch Ausstellungen, bevor sie geklärt und historisch geworden ist. Dies birgt Risiken in sich, die aber zugunsten der Lebendigkeit in Kauf genommen werden. So kann man schließlich auch eine Wandlung des Museums konstatieren. Die Museen öffnen sich immer weiter dem Schaffen der Gegenwart und lassen sich dabei von einem progressiven Geist durchdringen. Letztlich möchten wir durch unsere Arbeit dazu beitragen, eine Übereinstimmung zwischen Kunst und Gesellschaft herbeizuführen. « (Paul Wember)

Wer zog die Fäden, als das Rheinland sich in den 1960er Jahren anschickte, für Jahrzehnte zur bedeutendsten Kunstregion neben New York aufzusteigen? Walter Grasskamp stellt sich diese Frage in einem Essay des Bandes »Energien / Synergien«, der vor vier Jahren von der Kunststiftung NRW herausgegeben wurde. Darin kommt auch Johannes Cladders zu Wort, der unlängst hochbetagt verstorbene Museumsmann, dessen Umsicht und Gespür für zeitgenössische Kunst Mönchengladbach das Museum Abteiberg bescherte. Dieser war von 1957 bis 1967 bei Paul Wember am Kaiser Wilhelm Museum in die Lehre gegangen und stellt im Rückblick fest: »In Krefeld wusste man, was Kunst ist.« Aus Wembers Sicht mischten sich wohl eher zu viele kunsthistorisch nicht versierte Politiker und naive Laien in die Beurteilung von Kunst ein. Die Gedächtnisausstellung für Heinrich Nauen und speziell dessen Drove-Zyklus sorgte für einen Eklat, der in der Forderung von Ratsherren gipfelte, zwei Bilder abzuhängen. Des Volkes und der Politiker Zorn richtete sich wenig später auch gegen Arbeiten von Mataré und besonders von Lünenborg.

Paul Wember war sicher einer der erfolgreichsten Museumsleiter in jenem Nachkriegs-Wettbewerb der Museen, den Anschluss zur Kunst der 1930er Jahre herzustellen und gleichzeitig im In-und Ausland wichtige zeitgenössische Positionen von Kunst zu entdecken. Sichtlich machte ihm aber zu schaffen, dass er einerseits viel riskierte und sich durch positive Resonanz aus dem In-und Ausland bestätigt sah, andererseits aber die lokalen Angriffe gegen die Gegenwartskunst nie abrissen. Blumenthal, Trökes und Baumeister erregten die Krefelder Gemüter.

Bitter konstatiert Wember in seiner Geschichte des Kaiser Wilhelm Museums auch: »In einem Provinzmuseum gelten andere Maßstäbe (als in Metropolen). Durch Erweiterung, Ergänzung, Abrundung, kurz durch Aktualität müssen Kunstfreunde immer wieder zu Interessenten gemacht werden.«Alles in allem gesehen, sei dies immer schon der schwächste Punkt der Krefelder Museumsgeschichte gewesen. Der Ankaufsetat stehe im Missverhältnis zu den Aufgaben des Museums als Bildungsinstitution ebenso wie zu den Gesamtkosten.

Mit den geringen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, versuchte Wember nach der Währungsreform 1948,Kunstwerke aus den 1930er Jahren zu erstehen, um vorhandene Sammlungsschwerpunkte auszubauen und zu arrondieren. Der Erwerb der Thorn Prikker-Fenster, der Nauen-Gemälde und der Campendonk-Bilder sowie der Ankauf von Arbeiten Helmuth Mackes und des Keramik-Nachlasses von Paul Dresler gehörten dazu. Weil es ihm um die Geschlossenheit der Sammlungen ging, musste Wember so manche Mark für noch ältere Kunst ausgeben, Romantiker-Zeichnungen etwa oder impressionistische Gemälde. Wembers Herz hing jedoch an der Gegenwartskunst und weil er 1953 und 1954 Blätter von Max Ernst, Yves Tanguy, Joan Miro, Laurens, Leger, Matisse und Picasso günstig erwerben konnte, nahm innerhalb der Sammlungen die Bedeutung der zeitgenössischen Graphik an Bedeutung zu.

Literatur:
»Paul Wember und das Hyperaktive Museum«Februar 2013, Herausgeber Kunstmuseen Krefeld Verlag: Verlag für moderne Kunst, Auflage: 200, ISBN-13 978-3869844213

»documenta auf Dauer« – zur Geschichte des Kaiser Wilhelm Museums

Als »Zentrum neuer Kunst« wurde Krefeld nach der Wiedereröffnung des Kaiser Wilhelm Museums und der Fortführung der Ausstellungen im Haus Lange gefeiert. Ab April 1969 schwamm Paul Wember, der Direktor beider Museen, im Glück: Das Museum am Karlsplatz bot nach der Totalrenovierung über 40 Prozent mehr Ausstellungsfläche, und die Stadt hatte nach langem Tauziehen die Stiftung Dr. Ulrich Langes angenommen.

Die Freitreppe war beseitigt, das monumental gestaltete Treppenhaus aufgebrochen worden und man hatte zwei neue Decken in die Geschosshöhe eingezogen. So entstanden drei neue Hallen und zwei kleinere Räume für Ausstellungen. Zumal der ebenerdige Eingang durch frei schwingende Glastüren habe dem Haus, so Wember, »frische Menschlichkeit« gebracht. Der vormals unzugängliche Lichthof konnte nun als Skulpturenhof genutzt werden. Die Feuilletons der Republik überschlugen sich in Superlativen: »Die heimliche Hauptstadt der Avantgarde« war ihnen Krefeld, und die beiden Museen böten eine »documenta auf Dauer«. Auch die Krefelder selbst zeigten sich nun begeistert und nahmen regen Anteil am Kunstgeschehen in ihrer Stadt.

Die Sammlungsbestände zu erweitern und den Besuchern vor Augen zu führen, mit welchen Kunstschätzen das Museum aufwarten konnte, betrachtete der Museumsdirektor als seine vornehmste Aufgabe. Die Konfrontation von Historie und Moderne barg den nötigen Zündstoff für Begeisterung »Es ist gut, aus der Tradition heraus zu leben und ebenso tröstlich zu wissen, dass sich Gleiches nie wiederholt«, notiert Paul Wember in seinem Ausblick auf die 80-er Jahre. Besucher sahen im umgestalteten Haus altvertraute Schätze wieder und lernten viele neue Arbeiten kennen. Jüngere Besucher, die das Museum nicht von früher kannten, staunten über dessen historische Sammlungen etwa zu italienischer Renaissance und Jugendstil oder die Hülser Schüsseln. Die Stücke aus der Sammlung Lauffs trugen wesentlich dazu bei, dass geschlossene Werkblöcke präsentiert werden konnten. In einem Vergleich von fünf deutschen Museumsdirektoren der Wochenzeitung »Die Zeit« hatte die Krefelder Ankaufspolitik am besten abgeschnitten. Das bewog den Fabrikanten Walther Lauffs zu einer Abmachung mit dem Museumsleiter Paul Wember: Mit einem festen Jahresetat sollte dieser für Lauffs eine Sammlung aufbauen. Die erworbenen Kunstwerke wurden unter »Sammlung Lauffs« inventarisiert und sollten mindestens zehn Jahre in der öffentlichen Sammlung des Kaiser Wilhelm Museums bleiben. Der Rest ist Geschichte …

Krefelder- und Niederrhein-Künstlern galten bis 1972 Ausstellungen im Kaiser Wilhelm Museum. Dass Wember damit ein echtes Bedürfnis der Krefelder Kunstinteressierten befriedigte, zeigte der große Zulauf bei den Vernissagen. Es gab ein Wiedersehen mit Fritz Huhnen. Dieser ersten Einzelausstellung folgte die Präsentation von Leo Bigenwalds Werk. Zehn Künstler der Niederrheinischen Künstlergilde zeigten aktuelle Arbeiten. Erstmals in einem Museum durften Claus Böhmler, Hans Albert Walter, Erika Wicht und Zedlitz ihre Bilder zeigen ebenso wie Herbert Zangs, G.W. Cassel und Eberhard Gollner, die schon einen Namen hatten. W. Holzhausen, Rudolf Schoofs und Werner Schriefers sowie Elisabeth Kadow, Johannes Cladders, Lerche und Sundhaußen tauchen im Ausstellungsverzeichnis jener Jahre auf. Gegensätzliche Positionen wurden in den Grafik-Ausstellungen deutlich. Der Wechsel zwischen Alt und Neu trug auch hier zur Vielseitigkeit des Kunstangebots bei.

Irmgard Bernrieder

Weitere Informationen:
Heinz-J. Ingenpahs: »Lauffs-Sammlung: Geht Krefeld die Kunst aus?«, am 31. Oktober 2007 in der Westdeutschen Zeitung
Sylvia Martin: »Staffellauf: vom lebenden zum lebendigen Museum – Paul Wember und Alexander Dorner«. In »Die Heimat«, Krefelder Jahrbuch, Band 84, 2013