Eine erste Übersicht: Die 1980er und 1990er Jahre

Titelblatt »Literatur am Niederrhein«, Ausgabe Nr. 28, August 1994, Abb. Ludwig Wertenbruch, ohne Titel 1994, Öl und schwarze Kreide auf Bütten. © Nachlass Wertenbruch und Düsselberg Druck
Titelblatt »Literatur am Niederrhein«, Ausgabe Nr. 28, August 1994, Abb. Ludwig Wertenbruch, ohne Titel 1994, Öl und schwarze Kreide auf Bütten. © Nachlass Wertenbruch und Düsselberg Druck

In den 1980er Jahren erfuhr das literarische Leben in Krefeld einen langanhaltenden Aufschwung, in dessen Gefolge eine größere Zahl junger LiteratInnen die Bühne betraten und neue Veranstaltungsreihen und Institutionen gegründet wurden. So war es keineswegs abwegig, dass der frühere Kulturdezernent Roland Schneider in den 1990er Jahren von Krefeld gerne als der »heimlichen Literaturhauptstadt des Niederrheins« sprach.

Untrennbar verknüpft sind diese positiven Entwicklungen mit dem Engagement des Buchdruckermeisters und ehemaligen Galeristen Klaus Ulrich Düsselberg. Er war Gründer, Mentor und Gastgeber der »Literaturwerkstatt«, die sich ursprünglich als Gruppe an der Volkshochschule gebildet hatte und zur Keimzelle einer neuen Literaturszene werden sollte. Er gründete 1973 den Sassafras-Verlag, in dem außergewöhnliche Grafikbände erschienen und diese neue AutorInnengarde später ihre ersten Bücher veröffentlichte, und 1984 die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift »Literatur in Krefeld« (später »Literatur am Niederrhein«), die neuen Talenten und gestandenen AutorInnen ein Forum gab und zudem durch ausgewählte Druckgrafik zahlreicher wichtiger Künstler der Region bestach. Viele der zumeist heute noch aktiven LiteratInnen haben hier ihre Wurzeln: Ingo Arendt († 1993), Hakkí Çimen, Thomas Hoeps, Martin Klein , Frank Lingnau, Viktoria Lösche , Matthias Schamp, Herbert Sleegers, Reinhard Strüven, John Waszek , Liesel Willems u.a.m.

Daneben organisierte Düsselberg in den Reihen »Literatur bei Herbst Pitt« und »Literatur im Kaiser Wilhelm Museum« zahlreiche Lesungen mit regional und überregional bekannten SchriftstellerInnen. Später wurde dieses Programm durch die Lesereihe »Junge Literatur im Kulturfabrik-Café« ergänzt, für die längere Zeit der Lyriker Frank Lingnau verantwortlich zeichnete.

Fast alle diese Aktivitäten erfuhren eine intensive finanzielle Unterstützung durch die Stadt Krefeld und vor allem das Land NRW, was im wesentlichen dem Einsatz des damaligen Krefelder Landtagsabgeordneten und SPD-Kultursprechers im Landtag Dr. Eugen Gerritz zu verdanken war.

Klaus Ulrich Düsselberg, 1984. Foto: privat
Klaus Ulrich Düsselberg, 1984. Foto: privat

Nicht zuletzt zählte Düsselberg gemeinsam mit dem damals nach Krefeld gezogenen Lyriker, Essayist und Kinderbuchautor Henning Heske, der den darniederliegenden Bezirk Niederrhein des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS) 1990 erfolgreich wiederbelebt hatte, zu den treibenden Kräften, die die Stadt Krefeld motivierten, von 1992 an den Niederrheinischen Literaturpreis auszuloben.

1992 übergab Düsselberg die Lesungsorganisation an den Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Thomas Hoeps, der das Programm unter dem Namen »Lesungen in Krefeld« bis 2004 fortführte und um weitere Reihen (u. a. »Literatur aus den Nieder(Rhein)landen«, »flussabwärts« – Kleine rheinische Literaturtage im Südbahnhof) sowie Krefelder Beteiligungen an landesweiten Literaturreihen ergänzte. Zudem entwickelte er im Jahr 2000 das bis heute jährlich stattfindende deutsch-niederländische Literaturfestival »Literarischer Sommer/Literaire Zomer« für die Stadtbibliotheken Krefeld, Neuss und Mönchengladbach. Nach dem Ende von Hoeps’ Engagement wurden die städtischen Literaturmittel zur Förderung der Kinder- und Jugendlesungen an die Mediothek übergeben. Zahlreiche und regelmäßige Literaturveranstaltungen boten in diesen Jahren außerdem insbesondere die Buchhandlungen »Der andere Buchladen« sowie der »Bücherladen am Rathaus« an.

Nach dem Tod Klaus Ulrich Düsselbergs († 1997) wurde die Zeitschrift »Literatur am Niederrhein« durch ein Autorenteam und Düsselbergs Tochter Barbara bis zum Jahr 2007 weitergeführt. Auch im Sassafras-Verlag sind seitdem nur noch sporadisch literarische Bücher erschienen.

Eine große Chance für das literarische Leben Krefelds entwickelte sich aus einem großzügigen Angebot der Kunsthistorikerin und ehemaligen Direktorin des Museums Schloss Rheydt, Dr. Eva Brües. Sie wollte der Stadt neben mehreren Immobilien auch das Haus ihres Vaters, des Krefelder Schriftstellers Otto Brües († 1966) schenken, um dort nach ihrem Tod ein Literaturhaus zu errichten. Nach langwierigen Verhandlungen wurde der Schenkungsvertrag 1998 geschlossen. Die Chance, dort zugleich ein An-Institut der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zur Erforschung der »Literatur der Moderne im Rheinland« einzurichten, scheiterte an der Weigerung der Stadt, die Bedingung der Universität zu erfüllen, ihrerseits eine halbe Stelle für die Pflege des aktuellen literarischen Lebens einzurichten. Nach dem Tod von Eva Brües 2009 und Umbaumaßnahmen wurde das Niederrheinische Literaturhaus – Brües Haus am 20. Juni 2012 eröffnet und wird seitdem unter Leitung von Anette Ostrowski vom Städtischen Kulturbüro betrieben.

Als überregional bedeutende AutorInnen, die in den 80er/90er Jahren zu veröffentlichen begannen, aber nur am Rande oder gar nicht mit der oben beschriebenen Szene verknüpft waren, sind beispielhaft zu nennen: Herbert Genzmer, Andreas Mand, Ulrich Peltzer, Elke Schmitter. Sie alle sind u.a. auch mit dem Niederrheinischen Literaturpreis ausgezeichnet worden.

Das literarische Leben heute

Regelmäßige Literaturveranstaltungen bieten heute noch »Der andere Buchladen«, die Mediothek und zuweilen auch die Volkshochschule an. Im Niederrheinischen Literaturhaus stechen vor allem die Reihen »1 Gedicht … und mehr«, in der Henning Heske zeitgenössische LyrikerInnen vorstellt, und »Was macht eigentlich …«, zu der frühere Träger des Niederrheinischen Literaturpreises eingeladen werden, hervor.

Plakat zur Criminale 2011. © Kulturbüro Mönchengladbach
Plakat zur Criminale 2011. © Kulturbüro Mönchengladbach

Besonders bewegt zeigt sich die Szene seit einigen Jahren vor allem in den Sparten Poetry Slam und Kriminalliteratur:

Poetry Slams finden vor allem seit 2008 im Lokal »Jules Papp« statt. Moderator ist dort der Krefelder Slammer Johannes Floehr, der zudem auch den monatlichen Schreibwerkstatt-Stammtisch »SchreibTisch« (siehe facebook-Profil) organisiert, der sich an junge AutorInnen richtet. Jüngste Erfolge der Szene: Der Krefelder Sulaiman Masomi (siehe facebook-Profil) gewann 2013 die NRW-Landesmeisterschaften im Poetry Slam. Johannes Floehr erreichte bei der Landesmeisterschaft 2014 den 4. Platz.

Einen starken Aufschwung erfuhr analog zum bundesweiten Trend auch die Krefelder Krimiszene. Seit 2001 organisiert die Autorin Ina Coelen jährlich im Herbst die »Krefelder Krimi-Tage«. Zusammen mit Werner Coelen betrieb sie zudem seit 2002 den Leporello-Verlag, der im wesentlichen Regionalkrimis herausgab und nach dem Tod Werner Coelens 2013 seine Geschäfte einstellte. Zu den Krefelder Autorinnen, die hier ihre ersten Kriminalromane publizierten, zählten Ingrid Schmitz, die in Berlin lebende Susanne Kliem sowie Ulrike Renk, die sich bald auch überregional einen Namen als Autorin u.a. historischer Romane machte. Die reichhaltige Krimiszene mit Krefelder Wurzeln wird des Weiteren ergänzt von der in Merching lebenden Autorin und Herausgeberin Angela Esser, dem in Köln lebenden Autor Edgar Franzmann, dem bei München lebenden Lyriker und Krimiautoren Frank Schmitter sowie von Thomas Hoeps, der seit 2007 zusammen mit dem Arnheimer Jac. Toes als erstes deutsch-niederländische Autorenteam in beiden Ländern publiziert. Ein veranstalterischer Höhepunkt in diesem Genre war die Beteiligung Krefelds in Kooperation mit Mönchengladbach und Viersen als hauptveranstaltende Städte der 25. Ausgabe des größten Festivals deutschsprachiger Kriminalliteratur »Die Criminale«, die 2011 am Mittleren Niederrhein ausgerichtet wurde.

Bekanntester Vertreter des Fantasy-Genre in Krefeld schließlich ist der erfolgreiche Autor Bernhard Hennen.

Auffallend ist, dass mit Ausnahme der AutorInnen der Slam-Szene alle genannten AutorInnen in den 1950er und 1960er Jahren geboren wurden. Offen sind die Fragen, ob es tatsächlich keine jüngere AutorInnen jenseits der Slam-Formate gibt, ob es sie zwar gibt, sie aber nicht durch Lesungen und Publikationen nach außen treten, oder ob sie es tun, nur hier nicht öffentlich wahrgenommen werden. Klar ist nur, die junge Szene wird in Krefeld dringender denn je benötigt. Dazu braucht es eine stärkere Beachtung der Slam-Szene, weitere neue Veranstaltungsformate und ganz wesentlich die Einrichtung und Förderung von Workshopprojekten und Publikationsforen.

Zu guter Letzt: Obenstehender Text ist als ein erster Aufschlag zum Thema geschrieben, mit allen Vor- und Nachteilen verfasst aus der Sicht eines Beteiligten und verbunden mit dem Aufruf, weitere Perspektiven, Erfahrungen und Wahrnehmungen hinzuzufügen.

Thomas Hoeps

Weitere Information:
Aktueller Artikel über Bernhard Hennen in der Rheinischen Post vom 17. Mai 2019