Vom Varieté zu 3D

Als die Bilder laufen lernten, brauchten sie von den ersten Gehversuchen der Brüder Latham (am 20. Mai 1895 in New York), der Skladanowskis (in Berlin) und der Lumières (in Paris) drei Jahre bis Krefeld. Anzeigen vermitteln etwas vom Klima in der Anfangszeit dieses Mediums in Krefeld. So laden etwa die Automaten-Werke G. Hahn mit der Schlagzeile »Automaten-Ausstellung« in einer Zeitungsannonce von 1899 in ihr Haus an der Hochstraße 83 ein, wo sie auf drei Etagen »mechanische Kunstwerke« versprechen. In fetten Lettern wird der Kinematograph angekündigt, der neben der »größten Sehenswürdigkeit Schlangenmensch« und allerlei großen und kleinen Musikwerken, Schau- und Kunstautomaten, künstlichen Figuren, Panoramen und Photographie-Automaten dort allabendlich drei Stunden lang das Ungesehene zeigt: Bewegte Bilder.

Lichtspielhaus am Neumarkt 1960. Foto: Stadtarchiv Krefeld, Fotobestand, Objekt-Nr. 27068
Lichtspielhaus am Neumarkt 1960. Foto: Stadtarchiv Krefeld, Fotobestand, Objekt-Nr. 27068

Gut hundert Jahre später hat das Digital-Kino den Markt erobert und nähert sich gerade in seinen spektakulären Ereignis-Momenten dem ursprünglichen Feld des Jahrmarkt-Nickelodeon wieder an, während dem mechanisch und photochemisch gespeicherten Medium Film nur noch die museale Nische der Kunstkinos bleibt. Grund genug, einen Blick auf die Entwicklung der Lichtspielhäuser dieser Stadt im letzten Jahrhundert zu werfen.

Vergnügungslokale mit größeren Sälen, in denen ansonsten getanzt und gefeiert wird, nutzen die Attraktivität der sensationellen »Bildermaschine« um neue Gäste zu gewinnen, und bieten in unregelmäßigen Abständen Vorführungen von Wanderkinemathographen an. Das Variété »Apollo-Theater« in der »Oelmühle« hat 1904 das erste Bioscop der Stadt, und mit brandaktuellen Bildern aus dem russisch-japanischen Krieg beginnt die Krefelder Kino-Geschichte in einem Zelt an der Gladbacherstraße. Die Schausteller-Familie Weidauer wirbt für ihre neueste Errungenschaft mit einer Blaskapelle am Zelt-Eingang und einem Marktschreier. Eine mobile Dampfmaschine erzeugt den nötigen elektrischen Strom.

Über die Leinwand flimmern in jenen Pionierjahren knapp 60-minütige Potpourris aus kurzen Schwarz-Weiß-Filmen, die einerseits die spätere Wochenschau vorwegnehmen, andererseits mit kurzen tragischen oder komischen Sketchen das Publikum zum Weinen und zum Lachen bringen. Da die Kameras noch mit Handkurbel betätigt werden und mit weit weniger als 24 Bilder pro Sekunde aufnehmen, und die Projektoren ebenfalls manuell bedient werden, ruckeln und zuckeln die projizierten Bilder auf der Leinwand. Der Spaß kostet anfangs 30 Pfennige, dann, in der Nachkriegsinflation, 1923, musste man für eine Eintrittskarte 180 Milliarden Mark hinblättern. Und das Vergnügen war durchaus nicht ungetrübt, da man in den ersten Jahren auf einfachen langen Holzbänken saß, seit den 1930er Jahren auf kaum bequemeren Klappsesseln Platz nahm, und es nur einen – ratternden – Projektor gab, sodass die Filmspulen bei längeren Filmen gewechselt werden mussten. Den Namen »Lichtspieltheater« meinten die Kinobetreiber aber durchaus Ernst, verfügten ihre Häuser in der Regel doch über Bühnen, die sich für vielerlei Darbietungen nutzen ließen. Rückblickend ist festzustellen, dass sich die Kinos in Krefeld – wie anderswo – mit der wachsenden gesellschaftlichen und ökonomischen Krise schlagartig vermehrten.

Stellvertretend für die zahlreichen Kino-Unternehmen der Stadt sei hier an das traditionsreiche Lichtspielhaus am Neumarkt (heute Deichmann) erinnert. Dieses wartete bis zum Beginn der Tonfilmära, 1929, als größtes Kino der Stadt mit einer eigenen Kino-Kapelle zur Untermalung der stummen bewegten Bilder auf. Das Kino bestand über ein halbes Jahrhundert (von 24. August 1912 bis zum 30. Dezember 1965) und verdankte diesen Erfolg wohl auch der unternehmerischen Offenheit seiner Betreiber für Innovationen. Im Lichtspielhaus, das nach neuesten architektonischen Erkenntnissen errichtetet wurde, fanden 1000 Besucher Platz, und es stand nicht nur bei seiner Eröffnung im Zentrum gesellschaftlichen Interesses, sondern auch, wenn sich dort bei Filmpremieren Leinwandgrößen ihrer Zeit wie Hans Albers, Willy Fritsch, Henny Porten und Adele Sandrock und viele mehr ihren Fans zeigten.

Nach seiner völligen Zerstörung in der Bombennacht des 21. Juni 1943 wurde das Kino nach Plänen des Krefelder Architekten Kurt Geilen mit 950 Plätzen wiederaufgebaut, und der erste Vorhang hob sich am 4. August 1949. In den Zeiten, da Regisseure wie Helmut Käutner, Wolfgang Liebeneiner und Géza von Bolváry den Ton in der westdeutschen Filmproduktion angaben, zählte das Lichtspielhaus am Neumarkt zu den Erstaufführungskinos der Region. Doch dann trat das Fernsehen seinen Siegeszug an, das zahlende Publikum blieb aus und wie viele ähnliche Betriebe musste es zumachen. Am letzten Tag des Jahres 1965 schloss es seine Pforten für immer.

Irmgard Bernrieder