Wie aus der Villa das Kunst-Haus Lange wurde

Gedämpft reagierten Krefelder Politiker 1955 auf Dr. Ulrich Langes Angebot, jenes Haus, das Mies van der Rohe 1928 für seinen Vater Hermann Lange an der Wilhelmshofallee errichtet hatte, als Gebäude für Ausstellungen moderner Kunst zur Verfügung zu stellen. Wohlgemerkt: Miet- und Zinsfrei für zehn Jahre! Auch Museumschef Paul Wember überraschte Langes Vorschlag, aber im Gegensatz zu den meisten Politikern freute ihn dieses mögliche neue Spielfeld. Und versteht die Frage selbst wohlmeinender Mitglieder des Kulturausschusses nicht, die da lautet: »Wollen Sie das Museum am Karlsplatz umgebaut oder Haus Lange?« Seine unumwundene Antwort: Haus Lange!

Die Stadt wollte den längst überfälligen Umbau des Kaiser Wilhelm Museums erst in Angriff nehmen, wenn dessen Finanzierung gesichert sein würde. Dafür sollten im städtischen Etat jährlich 100.000 Mark zurückgelegt werden. Angesichts dieser ungewissen Zukunft des Hauses am Karlsplatz fiel schließlich mit knapper Mehrheit die politische Entscheidung, Dr. Langes Angebot anzunehmen.

Wember wertet diesen Schritt in seiner Rückschau als außerordentlich folgenreich für das Kunstgeschehen in Krefeld. Schließlich meint er, dass die Ausstellungen im Haus Lange in den 60er Jahren ausschlaggebend waren für den hohen Stellenwert Krefelds unter den rheinischen Kunststätten. »Um ein Vielfaches lebendiger und bekannter« seien sie gewesen, als dies im nicht umgebauten Kaiser Wilhelm Museum denkbar gewesen wäre. Die dortige Raummisere erzeugte eine wachsende Unlust an der Arbeit.

Das Ausstellungsprogramm aber lief – für fünf Jahre parallel – weiter. Die Niederrhein-Ausstellung im Kaiser Wilhelm Museum brachte dem Museumsleiter viel Ärger ein, weil Krefelder Künstler sie zum Anlass nahmen, ihre Unzufriedenheit mit der Museumspräzenz lokaler Künstler zum Ausdruck zu bringen. Auch die Gedächtnisausstellungen für die verstorbenen Künstler Böttcher, Hehl, Kamps und Kempkes, veranstaltet zum zehnjährigen Bestehen der Künstlergruppe 45, konnte sie nicht beschwichtigen. »Es genügte nicht«, notiert Wember, »weil niemand begriff, dass man Kunst schließlich nicht ändern kann.«

Am 1. August 1960 wurde das Kaiser Wilhelm Museum geschlossen. Eine Reihe Aufsehen erregender Ausstellungen zeitgenössischer Kunst im Haus Lange ließen das architektonische Schmuckstück an der Wilhellmshofallee zum Treffpunkt Kunstinteressierter von nah und fern werden.

Die örtliche Presse freilich beäugte Wember mit Unverständnis. Als er Yves Klein und Arman mit überwältigend positiver überregionaler Resonanz zeigte, machten sich Artikel in den Lokalausgaben über ihn und moderne Kunst lustig. Alberto Burris Sack-, Holz-, Eisen- und Kunststoffbilder sorgten im Mai und Juni 1959 für den ersten öffentlichen Skandal im Krefelder Kunstleben. In anhaltenden Leserbrief-Lawinen entluden entsetzte Krefelder Bürger Unverständnis und Ablehnung gegenüber zeitgenössischen Kunstwerken. Erst ein Jahr darauf befriedete die Gedächtnisausstellung mit Gemälden und Hinterglasbildern Heinrich Campendonks die öffentliche Meinung in der Stadt.

Das Museum am Karlsplatz war geschlossen, aber der Baubeginn verzögerte sich Jahr um Jahr. Geschickt provozierte Wember mit der Ausstellung »Historie + Moderne« Anfang 1964 eine öffentliche Debatte über Traditionspflege und die Öffnung gegenüber aktuellen Tendenzen. Und mit den beiden Schauen »Kunstwerke aus Krefelder Privatbesitz« und »Krefelder Privatsammlungen« erinnerte er die Stadtväter an die öffentliche Verpflichtung der Stadt, angemessene Ausstellungsräume zur Verfügung zu stellen. Doch die Situation verbesserte sich nicht, ja es kam noch schlimmer: Auch Haus Lange blieb ab August 1966 geschlossen, weil die Übernahme-Verhandlungen zunächst ergebnislos verliefen. Kunst in Krefeld unbehaust!

Irmgard Bernrieder

Haus Esters und Haus Lange – Häuser für die Kunst

Mit Julian Heynen kommt 1981 ein Kurator an die Krefelder Kunstmuseen, dessen Programm sich bis heute noch an den von Mies van der Rohe Ende der 20er Jahre erbauten Stadtvillen und später als Museen genutzten Häusern Esters und Lange ablesen lässt. So ist Heynen, neben dem von 1975 bis 1999 amtierenden Direktor Gerhard Storck, mitverantwortlich für einen Teil der Außenskulpturen der beiden Häuser, wie sie heute die Grünflächen vor und hinter den Architekturen prägen. Wesentliches Merkmal der Arbeiten im Außenbereich ist dabei ihr Bezug zum Ort, ein Thema, das sich über die Jahre hinweg als roter Faden durch das Ausstellungsprogramm beider Häuser zieht. Schon 1981 widmet sich die Eröffnungspräsentation von Haus Esters unter dem Titel »Wohnen in einer neuen Zeit – Die Villen und Landhausprojekte von Mies van der Rohe« u.a. den Krefelder Architekturen, die bereits ein Jahr später von Daniel Buren und Michael Asher im Rahmen einer Doppelausstellung erprobt werden. Andere Künstler, wie Claes Oldenburg, nutzen Haus Esters 1986 als »Haunted Haus« (Geisterhaus), in dem banale Gegenstände mit der Architektur spielen. Noch heute scheint seine rund 6 Meter hohe »Zahnbürste« den Zugang von Haus Esters wie ein Wächter zu beherrschen.

In der Publikation »Ein Ort der denkt« aus dem Jahr 2000 resümiert Julian Heynen, kurz vor seinem Wechsel nach Düsseldorf, die große Zahl der Ausstellungen in Haus Esters und Haus Lange, die seit der Eröffnung beider Häuser auf einer »gegenseitigen Durchdringung, Ergänzung und Erhellung von Kunstwerk und Ausstellungsort« basieren. Mit Martin Hentschel, seit 2001 als Nachfolger von Gerhard Storck neuer Direktor der Krefelder Kunstmuseen, und auch mit Beate Ermacora, von 2002 bis 2005 als Nachfolgerin von Julian Heyen tätig, bleibt dieses Prinzip der ortsspezifischen Präsentationen gültig. Dabei verlagert Hentschel den Schwerpunkt auf die Malerei, etwa bei Eric Fischel’s »The Krefeld Project« von 2004 sowie auch im Rahmen der retrospektiven Ausstellung von Richard Allen Morris im selben Jahr.

Beate Ermacora dagegen, die 2005 nach Mühlheim und anschließend Innsbruck wechselt, konzentriert sich in Krefeld verstärkt auf die mediale Kunst, die ab 2005 von der neuen stellvertretenden Direktorin Sylvia Martin in Zusammenarbeit mit der von 1986 bis 2013 für Sammlung zuständigen Kuratorin Sabine Röder aufgearbeitet wird. Unter dem Titel »Video déja vu« werden so 2008 »Die Anfänge der Videokunst im Spiegel der Sammlung« im Haus Lange vorgestellt, wohingegen sich 2009 der Mies van der Rohe Stipendiat Koenraad Dedobbeleer wieder gezielt auf die Architektur von Haus Esters bezieht. Drastischer greift kurz danach noch John Baldessari in die Bausubstanz des Nachbarhauses ein, indem er sämtliche Fenster von außen mit einer Art Backsteintapete verschließt und sie dagegen innerhalb mit aufgeklebten Panoramaansichten von Landschaften wieder öffnet. Baldessaris Rauminstallation steht damit »in einer langen Tradition architektonischer Interventionen, die im Museum Haus Lange bis in die späten 1960er Jahre zurückreicht«. (Krefelder Kunstmuseen, Ausstellungsarchiv 2009)

Immer wieder suchen Künstler den Dialog mit diesem Ort der Kunst, der Architektur und seiner Geschichte, wobei die grundsätzliche Ausrichtung der Krefelder Kunstmuseen inklusive Hauses Esters und Haus Lange über die Jahre hinweg auf Internationalität angelegt ist. Auffallend ist dabei in den 80er Jahren eine enge Anbindung an die Düsseldorfer Kunstszene, woraus Ausstellungen zeitgenössischer Fotografie etwa von Thomas Ruff, Thomas Struth und auch Andreas Gursky resultieren. Neben Malerei, beispielsweise von Gerhard Richter (seit 1965 regelmäßig in Haus Lange und später Haus Esters) sowie Installation spielt die Fotografie auch heute noch in beiden Häusern eine wichtige Rolle.

Jüngere Entwicklungen im Programm der Krefelder Kunstmuseen besinnen sich auf die umfangreiche grafische Sammlung, die Magdalena Holzhey als Nachfolgerin von Sabine Röder seit 2014 aufarbeitet. So ist Ende 2015 unter dem Titel „Show & Tell“ in Haus Esthers und Haus Lange ein zeitenübergreifender Einblick in die Kunst der Grafik möglich, die in über 100 Jahren in die Sammlung aufgenommen worden ist. Der Blick auf das Historische erlaubt dabei im Zusammenspiel mit dem Aktuellen einen spannenden Dialog, vielleicht vergleichbar der in Krefeld immer wieder durchspielten Auseinandersetzung zeitgenössischer Künstler mit den besonderen Architekturen der Häuser Esters und Lange.

Werkangabe:
Ausstellung Eric Fischl: The Krefeld Project, Museum Haus Esters, 12. Oktober 2003 bis 25. Januar 2004. Foto: Volker Döhne, Krefelder Kunstmuseen
John Baldessari: BLDG, LG WINDOWS W/XLENT VIEWS, PARTIALLY FURNISHED, RENOWNED ARCHITECT, Museum Haus Lange 1. März bis 19. Juli 2009, Gartenansicht. Foto: Volker Döhne, Krefelder Kunstmuseen

Haus Esters und Haus Lange – Gärten für die Kunst

Der Zugang zu den Gärten von Haus Esters und Haus Lange ist kostenlos. Von der Wilhelmshofallee führen zwei geschwungene Wege durch die vorgelagerten Grünflächen zu den beiden von Mies van der Rohe zwischen 1928 und 1930 geplanten und errichteten Wohnhäusern Hermann Langes (rechts) und Dr. Josef Esters (links), und von dort in die rückseitig gelegenen Gärten. Tatsächlich fristen diese seinerzeit vom Architekten mitkonzipierten Grünanlagen »im Bewusstsein der Bevölkerung« eher ein im wahrsten Sinne des Wortes »Schattendasein« (Spelberg), was nicht allein an den inzwischen gewaltigen Baumkronen der einstmals gepflanzten Bäume liegt. Aus gartendenkmalpflegerischer Sicht war hier dringender Handlungsbedarf gegeben, weil die üppige Bewachsung, anders als von Mies van der Rohe konzipiert, sämtliche Blickachsen von den Häusern in die Gärten und gleichermaßen von dort zurück verunklärten. Doch nachdem sie im Rahmen der »Euroga2002plus« weitgehend in ihren Originalzustand zurück versetzt worden sind, können sich Architektur und Gärten erneut in schöner Pracht entfalten – und mit ihnen ein Ensemble von inzwischen 10 hochwertigen Außenskulpturen.

Nachdem Haus Lange der Stadt 1954 kostenlos zur Museumsnutzung angeboten worden ist, finden hier seit 1955 unter Einbeziehung des Gartens Ausstellungen statt. So eröffnet Paul Wember, damaliger Direktor der Krefelder Museen, im September 1956 die Ausstellung »Berto Lardera«, dessen Skulptur »Sculpture à trois dimensiones II« von 1949/50 erst unlängst wieder (11/2013) an den ihr seinerzeit zugedachten Ort am Rande der Terrasse von Haus Lange zurück gekehrt ist. 1961 lässt Yves Klein dann seine Feuerfontäne in den Himmel steigen, wohingegen Richard Long 1969 einen rund 12 Meter großen und 25 cm hohen Rasen-Kreis für den Garten entwickelt. Dieses frühe Werk der Land Art ist die älteste, dauerhaft am Ort verbliebene Arbeit im Park der Mies van der Rohe Villen, von denen Haus Esters dann ab 1981, nachdem es bereits 1976 der Stadt zu günstigen Bedingungen verkauft worden ist, ebenfalls als Museum inklusive Garten zur Verfügung steht. Nach und nach finden weitere Arbeiten, wie Ulrich Rückriems »Granit, gespalten und geschnitten« von 1985, Richard Serras zweiteilige Stahlkuben »Elevations for Mies« von 1985 bis 1988 oder Ludger Gerdes »ICHS« aus dem Jahr 1989 in Folge von Ausstellungen den Weg dauerhaft in die kleine Parkanlage. Sie treten, wie später auch Thomas Schüttes gewaltige »Bronzefrau Nr. II« aus dem Jahr 2000 im Trockenhof von Haus Esters oder Michael Craig-Martins knapp 3 Meter hohes »Gate (white)« von 2011, eingebunden in das Grün und sorgsam an ausgewählten Stellen platziert, in einen wunderbaren Dialog mit der Architektur.

Der vergleichsweise geringe Bekanntheitsgrad der beiden Schatzkästchen Haus Lange und Haus Esters mitsamt ihren Gärten und Skulpturen beruht in ihrer Abgelegenheit nordöstlich des Stadtzentrums, für die sich die beiden geschäftsführenden Direktoren der Vereinigten Seidenwebereien Lange und Esters Anfang des 20. Jahrhunderts entschieden haben. Van der Rohes Architekturen passten sich damals perfekt in die noch wenig bebaute Umgebung ein, rot geklinkert und wesentlich breiter, als hoch gelagert. Noch heute schmiegen sich die beiden zurückliegenden Bauten in die umgebende Begrünung ein, bescheiden in ihrer Erscheinung und dabei zugleich von beeindruckendem Wert. Allein die große Arbeit »Cross-Section of a Toothbrush with Paste in a Cup on a Sink: Porträt of Coosje’s Thinking«, genannt »Zahnbürste«, von 1981/83 im Vorgarten von Haus Esters, ist ein deutlicher Hinweis auf die Nutzung der Architekturen. Der Straße zugewandt und gut sichtbar erlaubt diese 6 Meter hohe Arbeit des Pop-Artisten Claes Oldenburg, wie auch Lawrence Weiners am oberen Gebäuderand angebrachtes konzeptuelles Werk »Spannung genug / einen Stein zu halten / über dem Rhein« von 1985 Rückschlüsse auf den musealen Charakter der Häuser, der sich zudem an der stählernen Bodenarbeit »Metrical (Romanesque) Construction in 5 Masses and 2 Scales VI« von David Rabinowitsch ablesen lässt. Diese tonnenschwere Skulptur von 1977 bis 1978 vor Haus Esters erinnert gewichtig und im Kontext mit den übrigen Außenskulpturen daran, dass die Häuser von Mies van der Rohe mit ihren Gärten seinerzeit zwar als private Wohnhäuser geplant worden sind, doch früh schon sich als Orte der Kunst anbieten. Der Weg zu diesen architektonischen Meisterwerken, wie auch der Zugang zu den Gärten von Haus Lange und Esters frei ist. Man muss ihn nur nutzen.

Werkangabe:
Eröffnung Museum Haus Lange 1955, Einladungskarte.
Claes Oldenburg: Cross-Section of a Toothbrush with Paste in a Cup on a Sink: Porträt of Coosje’s Thinking, 1981 bis 1983, Stahl, farbig gefasst, 600 × 280 × 17 cm, Haus Esters, Sammlung Kunstmuseen Krefeld. Foto: Ralf Janowski
Ulrich Rückriem: »Granit, gespalten und geschnitten«, 1985, Granit (Bretagne), 256 × 115 × 118 cm, Sammlung Kunstmuseen Krefeld. Foto: Ralf Janowski

Christian Krausch

Literatur:
Eine ältere Broschüre informiert über alle Skulpturen mit Ausnahme der im Jahr 2013 platzierten Arbeiten von Michael Craig-Martin und Berto Lardera.
Skulpturen für Krefeld I, Krefeld 1989 (Katalog zur Ausstellung im KWM vom 3. September bis 22. Oktober 1989) Schwerpunk Skulptur. Katalog zur Ausstellung im Kaiser Wilhelm Museum 1992, Krefeld 1992.
Almut Spelberg – Die Gärten an Haus Lange und Haus Esters. Eine gartendenkmalpflegerische Untersuchung. In die Heimat 64, 1993, Seite 74ff
Julian Heynen – Ein Ort, der denkt. Haus Lange und Haus Esters von Ludwig Mies van der Rohe, Krefeld 2000.