Horizontal und vertikal in Stein

Anscheinend steht »dieser Stein« dort schon immer. So zumindest kommt es allen Beteiligten vor, die die große Skulptur von Ulrich Rückriem auf der Wiese vor der Edmund-ter-Meer-Realschule kennen. Der Eindruck täuscht nicht, denn mit der Fertigstellung des heutigen Schulgebäudes im August 1971 findet auch der steinerne Koloss als »Kunst am Bau-Projekt« gut sichtbar und vor allem massiv vor der Schule seinen Platz. Mit rund 2 m² Grundfläche und von der Basis an sich nach oben auf ca. 2 m Höhe verjüngend, fügt sich der Stein gut in das ihn hinterfangende Gebäudeensemble ein, dessen Flächenausbreitung er aufzugreifen scheint. Dabei gilt es, genau hinzuschauen, da das, was aus der Entfernung wie ein Monolith aussieht, tatsächlich aus einzelnen Segmenten besteht. In insgesamt zehn Schichten hat Rückriem das Material mit der Steinsäge horizontal zerlegen lassen, um es anschließend wieder zu einem Ganzen zusammen zu fügen. So sind, aus der Nähe betrachtet, neun Schnitte zu erkennen, die den Stein gliedern und somit seine natürliche, gewachsene Ordnung um eine weitere, gewollte Ordnung ergänzen.

Ulrich Rückriem – Ohne Titel, 1972, Aachener Blaustein, geschnitten, ca. 200 × 150/120 × 130/90 cm, Edmund-ter-Meer-Schule, Uerdinger Straße 783 in Krefeld. Foto: Ralf Janowski
Ulrich Rückriem – Ohne Titel, 1972, Aachener Blaustein, geschnitten, ca. 200 × 150/120 × 130/90 cm, Edmund-ter-Meer-Schule, Uerdinger Straße 783 in Krefeld. Foto: Ralf Janowski

Ulrich Rückriem, geboren 1938 in Düsseldorf, lebt seit langer Zeit vorwiegend in England. Zeugnisse seines Schaffens aber, insbesondere seiner Werke aus Stein, finden sich zahlreich in Deutschland, speziell im Rheinland, wo er nach seiner Steinmetzlehre in Düren (1957 bis 1959) und der Gesellenarbeit an der Dombauhütte in Köln (1959 bis 1961) als freischaffender Bildhauer tätig ist. 1973 erhält Rückriem den Kunstpreis der Stadt Krefeld, dem zahlreiche weitere Preise und Auszeichnungen folgen. Nach anfänglichen Arbeiten in Holz und Metall konzentriert sich Rückriem ab 1980 überwiegend auf das Material Stein, das er nach seinen Plänen mit den Techniken der steinverarbeitenden Industrie behandeln lässt. Neben Steinkreissägen kommen, wie bei der Arbeit »Granit, gespalten, geschnitten« von 1985 im Garten von Haus Esters, Hammer und Eisenkeile zum Einsatz, um das Steinvolumen gezielt horizontal und/oder vertikal zu teilen. Grundsätzlich erstrebt der Künstler dabei eine größtmögliche »Balance von Material und Arbeitsprozess, Form, Maß und Ort« (Rückriem), was letztlich zu einer Ausgewogenheit und konzentrierten Ruhe seiner Werke führt. Mensch und Natur/Stein finden in den Werken von Ulrich Rückriem in Harmonie zueinander, was vielleicht auch als Statement des Künstlers für einen bewussten Umgang miteinander gesehen werden kann. Idealerweise gelingt diese Symbiose, sodass Arbeit und Umraum miteinander verschmelzen. Dann ist es nicht verwunderlich, dass seine Arbeit vor der Edmund-ter-Meer-Schule einfach nur als Stein wahrgenommen wird, der dort »schon immer« steht. Eigentlich kann es kein größeres Kompliment geben. Allerdings verbunden mit der Hoffnung, dass das Bewusstsein für diesen stillen, massiven und irgendwie auch besonderen Schatz wieder mehr ins Gedächtnis der Stadt Krefeld Eingang findet.

Werkangabe:
Ulrich Rückriem – Ohne Titel, 1972, Aachener Blaustein, geschnitten, ca. 200 × 150/120 × 130/90 cm, Edmund-ter-Meer-Schule, Uerdinger Straße 783 in Krefeld

Christian Krausch

Literatur:
(Zitat Rückriem) Eva Meyer-Hermann: Ulrich Rückriem. In: Schwerpunkt Skulptur. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Kaiser Wilhelm Museum, Krefeld, 1992, Seite 40 bis 43