Pogromnacht 9./10. November 1938: In Krefeld wurden 18 Geschäfte zerstört und geplündert

Synagoge an der Marktstraße/Petersstraße nach dem Umbau von 1903. Foto: Stadtarchiv Krefeld, Fotobestand, Objekt-Nr. 6592-2358
Synagoge an der Marktstraße/Petersstraße nach dem Umbau von 1903. Foto: Stadtarchiv Krefeld, Fotobestand, Objekt-Nr. 6592-2358

63 männliche Mitglieder der jüdischen Gemeinde verhaftet und ins Gerichtsgefängnis Krefeld gebracht, in die Wohnungen der jüdischen Familien Davids, Kaufmann und anderer eingedrungen, die Einrichtung zerschlagen, das Mobiliar auf die Straße geworfen, die Synagoge an der Petersstraße verwüstet und angezündet, die Synagoge Linn zerstört und – weil das Gemäuer nicht brannte – später von Feuerwehrleuten dem Erdboden gleich gemacht, die Synagoge Uerdingen zerstört und abgetragen, nachdem liturgisches Gerät und Inneneinrichtung auf einem Scheiterhaufen verbrannt wurden, die Synagoge Hüls in Brand gesetzt, das Clubhaus am Bleichpfad zerstört und angezündet, 18 Geschäfte von Krefelder Juden in der Innenstadt zerstört, Archivalien beschlagnahmt.

Das ist die Bilanz der Vorkommnisse in den Nächten zwischen 9. und 11. November 1938. Wir wissen davon, weil die Schutzpolizei diese Übergriffe auf jüdische Mitbürger feinsäuberlich auflistete. Zum Teil ortsfremde Trupps, wie etwa junge Männer der in Fichtenhain stationierten SA-Standarte »Feldherrnhalle«, gingen offensichtlich nach einem Plan vor. Wie Dieter Hangebruch, der die widersprüchlichen Aussagen von Zeitzeugen erforschte, aufzeigt, hatten gewisse NSDAP-Organisationen offensichtlich einen Freibrief (»Emigriert – deportiert«, in Krefelder Juden, hg. von Guido Rotthoff, Bonn 1980). In den Polizeiakten ist vom »Mob« die Rede. Das soll glauben machen, dass Leute spontan zusammenkamen und ihrer Empörung Luft machten. Tatsächlich aber lassen historische Quellen darauf schließen, dass der Pogrom deutschlandweit vorbereitet und von SS- und SA-Angehörigen angeführt wurde, um den vermeintlichen Unmut einer Bevölkerungsmehrheit gegen jüdische Mitbürger zu inszenieren. In offizieller Lesart hieß es, dass Geschäfte und Wohnungen von Krefelder Juden in der Nacht von 9. auf 10. November »nur zerstört«, nicht geplündert werden sollten. Krefelder Mitglieder der Nationalsozialistischen Partei (NSDAP), zum Teil in SA- oder SS-Uniformen, führten die Überfallkommandos an. Während Ladenlokale und Wohnungen jüdischer Einwohner verwüstet wurden, sahen Gesetzeshüter seelenruhig zu. Sie waren von Polizeichef Dr. Hürten angewiesen, nicht einzuschreiten, sondern den »ordnungsgemäßen« Verlauf zu beobachten und nichtjüdische Geschäfte zu schützen.

Der zunehmend geschürte Antisemitismus war offen ausgebrochen: Juden wurden verhaftet, ihr Hab und Gut zu erzwungen niedrigen Preisen angekauft. Zu den 63 Krefelder Juden, die – ohne Anklage – über Duisburg ins Konzentrationslage Dachau gebracht wurden, gehörten der Oberrabbiner Dr. Arthur Bluhm, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Dr. Kurt Alexander und der gesamte Gemeindevorstand. Ihre Entlassung wurde begünstigt von der Zusage, das Geschäft nichtjüdischen Interessenten zu verkaufen oder auswandern zu wollen. 1938 emigrierten 163 Krefelder Juden, ein Jahr darauf 289. Ingesamt konnten 650 Krefelder Juden nach 1933 Deutschland verlassen. Die Zurückgebliebenen wurden zunächst in Judenhäusern zusammengefasst und ab 1941 in die KZ von Lodz, Riga und Izbica und Theresienstadt deportiert. Geschäfte, die zerstört wurden:

  • Max Servos, Friedrichstraße 19 (Bekleidung)
  • Metzgerei Heilbronn, Norstraße 27,
  • Schuhwaren Speyer, Hochstraße 89
  • Damenmoden Hirsch, Hochstraße/Ecke Neumarkt,
  • Manufaktur und Immobilien Blankenstein, Wiedenhofstraße 58/60
  • Seidenwaren-Großhandel Michelsen, Westwall 80
  • Jakob Katz, Marktstraße 84
  • Feinkost Hirsch, Königstraße 105/107
  • Tabakwaren Isaaksohn, Neusser Straße 38,
  • Waldbaum, Inh. Simon Hirtz, Neusser Straße 37
  • Seidenhandlung Fuchs, Neusser Straße
  • Seidenhandlung Bruckmann, Südwall 34
  • Modesalon Meyers, Südwall 23
  • Haushaltwaren Frankfurter, Hochstraße 12
  • Goldschmied Davids, Linner Straße 79
  • Möbelhandlung Halpern, Linner Straße 122
  • Maschinebürstenfabrik Tauber, Alte Linner Straße 125
  • Strumpfwaren ETAM, Hochstraße 106
  • Metzgerei Wiehl, Wiedehofstraße 78
  • Modespezialhaus Ruschewitz, Ostwall 76

Irmgard Bernrieder

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