Als Wilhelm von Humboldt von Krefeld schwärmte

Isometrisches Blatt der Innenstadt aus dem Jahr 1789. Foto: Stadtarchiv Krefeld
Isometrisches Blatt der Innenstadt aus dem Jahr 1789. Foto: Stadtarchiv Krefeld

Als die Französische Revolution die feudale Gesellschaft aufspießte, und die Bastille in die Luft flog, waren, nur vierhundertKilometer entfernt, im beschaulichen Landstädtchen Krefeld keinerlei Detonationswellen aus Paris spürbar.

Vielmehr hat der Kupferstecher Daniel Braches Muße, eine ganz besondere Ansicht von Krefeld zu stechen. Er legt den Stich isometrisch an. Die Parallelperspektive bildet zwei metrische Räume aufeinander ab, bewahrtdie Abstände und ist längengetreu, weshalb diese Darstellungsart in der Regel unter Architekten zum Einsatz kommt. Er schaut gen Süden auf den alten Stadtkern rund um die Alte Kirche, von einem fiktiven Standpunkt aus, der hoch über deren Spitzturm liegt. Niemand ist unterwegs in den Straßen, was ebenfalls nahelegt, dass der Stich eher dokumentarischen Charakter haben sollte. Neben dem Gotteshaus und dem Schwanenmarkt sind das Niedertor und das Hülser Tor zu erkennen. Zur Rechten erstreckt sich die Stadtmauer mit Wehrturm.

In dieser Ära wächst die Stadt noch unaufhörlich. Vor 33 Jahren war die fünfte Stadterweiterung begonnen worden, und die sechste Auslage wird in drei Jahrzehnten in Angriff genommen. Am neuen Friedrichsplatz, der anfangs einfach »Quarré« heißt, wird das neue Niedertor errichtet. Die Stadtmauer verläuft in der Linie des heutigen Nordwalls. Man reißt sich um die Bauplätze auf dem neuen Areal, dessen Bebauung in den Händen der beiden »Stararchitekten« Michael und Martin Leydel liegt. Die beiden entwerfen zweistöckige Häuserzeilen zwischen dreistöckigen Eckhäusern in einem Stil, der elegant-verspielte Rokoko-Elemente mit klassizistischen vereint. Einer der schönsten dieser Patrizierbauten ist »Haus Floh« an der Wilhelmstraße. Auch die Anwesen der Familien Jörgens und Scheibler auf dem Friedrichsplatzvermittelten Ankömmlingen den Eindruck von Wohlhabenheit.

Wilhelm von Humboldt schreibt im Revolutionsjahr 1789: »Ich erinnere mich nicht, in Krefeld ein Bild eigentlicher Armut gesehen zu haben. Die Häuser sind in holländischem Geschmack gebaut, doch weniger mit Zierraten überladen. Einige verdienten auch in schönen Straßen Berlins eine Stelle. Die Straßen sind in höchstem Grade reinlich und, gegen deutsche Städte gehalten, vortrefflich gepflastert. Die ganze Stadt hat ein gefälliges, lachendes Ansehen.«

»Hier ist überall bürgerliche Glückseligkeit« – Der fremde Blick auf die Stadt: Joachim Heinrich Campe

Joachim Heinrich Campe (1746 bis 1818). Kupferstich von F. Müller
Joachim Heinrich Campe (1746 bis 1818). Kupferstich von F. Müller

Im Juli des Revolutionsjahres 1789 besucht derVerleger und Pädagoge Joachim Heinrich Campe Krefeld. In einem Brief an seine Tochter Lotte schwelgt der Aufklärer: »Ich nenne dir, indem ich Krefeld hinschreibe, den Namen der niedlichsten, saubersten, freundlichsten und blühendsten Manufakturstadt, die ich je gesehen habe. Der bloße Anblick macht den Fremden heiter und froh. Das schöne, längst den Häusern ausgelegte Straßenpflaster ist so rein, als wenn es täglich gewaschen würde, und so eben, als wenn die Steine abgeschliffen wären. Die Häuser sind alle von Backsteinen und in holländischem Geschmack, aber doch mit mehr Abwechslung erbaut als der holländischen Bauart sonst eigen zu sein pflegt.«

Seidenfärberei von Krakau um 1863. Bleistiftzeichnung von A. Borchel, aus: »Altes Crefeld«. Frankfurt/M.: Verlag Weidlich, 1975
Seidenfärberei von Krakau um 1863. Bleistiftzeichnung von A. Borchel, aus: »Altes Crefeld«. Frankfurt/M.: Verlag Weidlich, 1975

Den Briefschreiber erstaunen die Schilder an den meisten Häusern, die er für Gasthäuser hält. Man belehrt ihn, dass die Schilder »nur zur bequemen Unterscheidung der Häuser« dienen. Diese »industriöse« Stadt enthalte 700 Gebäude, berichtet er weiter, um dann auszuführen: »Bei einer gewöhnlichen Bevölkerung würde sie also ohngefähr viertausend Einwohner zählen. Man rechnet aber die hiesige Volksmenge bis auf siebentausend Seelen. Dies würde unglaublich klingen, wenn man nicht dabei in Erwägung zöge, dass die meisten Häuser von Fabrikanten bewohnt werden und also nicht bloß eine Familie, sondern auch Werksgesellen und Lehrburschen in sich fassen.« Begeistert schreibt er auch über seine Besichtigung der Seidenmanufakturen der Herren von der Leyen, die »nicht bloß dieser Familie und nicht bloß diesem Orte, sondern ganz Deutschland Ehre macht.« Er sieht sich nach England versetzt, »in eine der blühendsten Fabrikstätte, so groß ist der Umfang dieser Anstalt, so sinnreich das Maschinenwerk, so musterhaft die dabei überall herrschende Ordnung und Reinlichkeit!«

Um sich die Größe der Anlage vor Augen zu führen, solle sie sich vorstellen, dass hier 6.000 Menschen beschäftigt seien und dass neben einigen »palastartigen Gebäuden« ganze Straßen kleinerer Häuser dazuhörten. Von diesen Weberhäusern berichtet Campe, dass sie »inwendig durchbrochen sind, so dass man aus einer Werkstatt in die andere tritt und alle unter einem Dach zu sein scheinen.« Er lobt den Einsatz eines Pferdes, das einen ganzen Saal voll Abhaspelungsmaschinen antreibt, indem es mit verbundenen Augen auf der Stelle tritt, und er gesteht, dass er die Damastweberei nicht durchschaut. Im Vergleich zu westfälischen Städten schneidet Krefeld bestens ab: »Hier ist alles munter, alles tätig, alles betriebsam! Hier ist überall Wohlstand und bürgerliche Glückseligkeit!«
»Freiheit und Duldung«, so Campe, seien die beiden Zauberworte, die diesen Unterschied begründen.

Irmgard Bernrieder