Der unverstandene Reformer Karl Buschhüter

Nummer 18 baute Karl Buschhüter 1910 für seine Mutter, deren Büste an der Straßenfront eingelassen ist. Das Wohnhaus, in dem seine grundlegenden Gestaltungsregeln deutlich zum Ausdruck kommen, gehört zu den bedeutendsten Werken des Architekten. Foto: Ralf Janowski
Nummer 18 baute Karl Buschhüter 1910 für seine Mutter, deren Büste an der Straßenfront eingelassen ist. Das Wohnhaus, in dem seine grundlegenden Gestaltungsregeln deutlich zum Ausdruck kommen, gehört zu den bedeutendsten Werken des Architekten. Foto: Ralf Janowski

Hinter einer dichten Hecke, unangepasst und schlicht, lebte da ein Mann mit ungebändigter silberner Mähne und langem Bart in seinem Haus und Garten. Als geheimnisvoller, nicht ganz geheurer Sonderling wird er bei seinem Tod im August 1956 wahrgenommen: Karl Buschhüter. Der Mann wurzelte im 19. Jahrhundert (* 3. September 1872 in Krefeld), mit seiner Idee des ökologischen Bauens aber war er seiner Zeit weit voraus. Voller widerspruchsvoller Verwerfungen stellen sich Leben und Schaffen dieses Reformarchitekten aus heutiger Sicht dar.

Geboren ein Jahr nach der Proklamation des preußischen Königreichs, wurde er mit der Jugendbewegung älter, mit ihren unpolitischen Fluchten in romantisch verbrämte Traditionen. Früh verinnerlichte er den antibürgerlichen Affekt dieser von der Jugend selbst ausgehenden Kultur, die sich vom hektischen Stadtleben abwandte und junge Leute im Rückgriff auf unverfälschte aufklärerische Ideale, im Rousseau’schen Sinne »retour à la nature« brachte. Ihre Mitglieder wollten freilich nicht nur zurück zur Natur, sondern waren auch blind für die wachsenden sozialen Probleme in der Gesellschaft. Buschhüter sieht sich selbst offensichtlich als wahren »Wilden«, wenn er voller Verachtung den »deutschen Menschen« als degradierten Wilden bezeichnet, der »seine Beziehung zur Natur ganz verloren hat und nichts mehr vom Hauch der lebendigen Welt spürt.« Er hingegen propagiert eine naturnahe Lebensweise, Vollwertkost und Reformkleidung. Zu diesen Idealen leitet Buschhüter die Lebensreform, eine geistige Bewegung, die um die vorletzte Jahrhundertwende als Gegenimpuls zu Industrialisierung und Urbanisierung entsteht.

Der Architekt entwickelt seine Theorie des »biologischen Funktionalismus«, die unter anderem beinhaltet, dass er die Grundmaterialien für den Bau eines Hauses – Lehm, Sand, Kies und Holz – so weit wie möglich dem Grundstück entnimmt, auf dem es errichtet wird. Industrielle Techniken lehnt er ebenso ab wie die Geldwirtschaft. Er trägt nur selbst geschneiderte Leinenkleidung und läuft meist barfuß. Christlich-fundamental wirkt seine Weigerung, Haupt- und Barthaar zu schneiden. Das sei, seinen eigenen Worten nach, dem deutschen Mann unziemlich. Sein Nationalismus paart sich mit einem extremen Rassismus. Obwohl er, der die Künstler Fidus und Karl Wilhelm Diefenbach verehrte, den Krefelder Expressionisten Heinrich Campendonck verachtete, baute er im Auftrag des Kölner Industriellen Multhaupt ein Haus für ihn.

Samtfabrik Gompertz, Vater-Jahn-Straße, um 1912 nach den Plänen von Karl Buschhüter erbaut, im 2. Weltkrieg zerstört. Foto: Stadtarchiv Krefeld, Fotobestand, Objekt-Nr. 17394-4938
Samtfabrik Gompertz, Vater-Jahn-Straße, um 1912 nach den Plänen von Karl Buschhüter erbaut, im 2. Weltkrieg zerstört. Foto: Stadtarchiv Krefeld, Fotobestand, Objekt-Nr. 17394-4938

Buschhüter ist in jeder Hinsicht gegen den Stich gebürstet: Er baut ganz und gar nicht im Stil der Heimatarchitekten, redet aber regionalistischen Tendenzen das Wort. Er führt die moderne Backsteinarchitektur am Niederrhein ein und verwendet im Wohnungsbau Eisenfachwerk. Gegen den seinerzeit verbreiteten Historismus mit eklektischen Stilzitaten tritt er für Materialgerechtigkeit im Sinne einer organischen Architektur ein. Und er gibt seinen Häusern ein unverwechselbares Gepräge: dynamisch mit Pfeilern, steilem Krüppelwalmdach und Ziegeltexturen.

Nach der Devise »Was der Bauer nicht kennt …« wurden seine – konventionellen Bauformen so unähnlichen – Entwürfe in seiner Heimatstadt selten verstanden und deshalb abgelehnt. Aber das scherte Karl Buschhüter nach eigenem Bekunden wenig. Der Eigenbrötler ließ sich auf keinerlei ästhetische Kompromisse ein und bekam seit Ende der 1920er Jahren nur noch von wenigen engen Freunden Bauaufträge. Die »Krefelder Möpse« seien beeindruckt von seinem Haus ohne Front und Haustür, notiert er. Und weiter: »Sie ereifern sich und werden dick und blaurot im Gesicht und ersticken zuletzt vor Gift. Das ist der Zweck.« Ist er arrogant oder nur selbstbewusst, wenn er feststellt: »Wer mein Werk bewundern will, kann es tun, wer nicht, kann es lassen.« Dieser Pionier weiß, dass seine eigenständigen Vorstellungen von menschlichen Behausungen zu früh kommen, und stellt unbeirrt fest: »Das Werk wirkt. Wenn der Geldgeber längst vergessen ist und der Wertgeber längst vermodert, wirkt es doch.« Damit hat er recht behalten.

Die Buschhüter-Häuser, die im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört wurden, stehen heute unter Denkmalschutz.

Buschhüter-Häuser

Der Architekt bewohnte bis zu seinem Tod das 1904 an der Moerser Straße 700 für den Dürerbund gebaute Künstlerheim, das 1961 abgetragen wurde. Zahlreiche seiner Gebäude wurden in den Bombenstürmen des zweiten Weltkriegs zerstört. So das Bankhaus Frank auf dem Ostwall, der Praaßhof im Forstwald, die Fabrik Gompertz am Grünen Dyk, das Winselmannhaus auf dem Nordwall.

Das Haus Westwall 124 ist heute Sitz des Kunstvereins, die 1904 erbaute »Alte Post« auf der Dreikönigenstraße 163, Steinstraße, beherbergt Kunst und Krefeld e.V.

Bis heute erhalten sind auch Häuser im Kliedbruch sowie an der Moerser, Linden- und Ritterstraße (Zentrallager der ehemaligen Konsumgenossenschaft Niederrhein an der ehemaligen Brotfabrik »Im Brahm«).

Irmgard Bernrieder