Joseph Maria Olbrichs Künstlerhaus

Das Atelier-Haus an der Hüttenallee 150 wurde 1908 nach Plänen J. M. Olbrichs errichtet. Foto: Ralf Janowski
Das Atelier-Haus an der Hüttenallee 150 wurde 1908 nach Plänen J. M. Olbrichs errichtet. Foto: Ralf Janowski

Eine kleine Sensation ist 1984 der Fund des Kunstwissenschaftlers Dr. Julian Heynen: Aus den Akten des Kaiser Wilhelm Museums förderte er einen Zwischenentwurf in Blaupause mit der Unterschrift Joseph Maria Olbrichs und dem Datum 26. Mai 1908 zu Tage. Vor 30 Jahren wusste niemand mehr, dass jenes ockerfarbene Häuschen an der Hüttenallee 150 auf einen Entwurf dieses bedeutenden Jugendstil-Architekten zurückgeht. Die Stadt als Untere Denkmalschutzbehörde nahm das Gebäude, das bis dahin nach seinen einstigen Bewohnern Thorn-Prikker-Haus oder Bertlings-Villa genannt wurde, in die Liste der Baudenkmäler auf. Aber was geschah ansonsten? Die erhaltene Stiftungsurkunde war eindeutig formuliert: Albert Oetker vermachte das Haus der Stadt unter der Bedingung, dass es für einen bescheidenen Mietzins an einen hiesigen Künstler zu vermieten sei und die Einnahmen dem Erhalt des Hauses dienen sollten. Hat die Stadt diese Auflage je erfüllt? Und warum wurde das Wohnrecht quasi vererbt?

Mit dem frühen Tod des Mäzens Albert Oetker und des Architekten Olbrich im Jahr 1908 nahm der Gedächtnisverlust seinen Lauf. Der erste Bewohner des Künstlerhauses, Jan Thorn Prikker, verließ seine Wirkungsstätte, die Kunstgewerbeschule, 1910 in Richtung Hagen, und auch Friedrich Deneken, jener Motor der Moderne in der Seidenstadt, kehrte ihr den Rücken zu. Im August 1914 brach der erste Weltkrieg aus, im zweiten Weltkrieg wurde das Bauordnungsamt mitsamt allen Hausakten zerstört.

Wie der Besucher heute an Mauerbögen und Wänden erkennt, sah die ursprüngliche Raumaufteilung im Atelierhaus wohl ganz anders aus. Nach einem kurzen Mieter-Intermezzo des Bildhauers Franz Brahmstädt war 1920 Peter Bertlings, seines Zeichens Keramikprofessor an der Kunstgewerbeschule, eingezogen und hatte das Innere Zug um Zug in ein Domizil, das für die Familie bewohnbar war, verwandelt. Gleichzeitig verblasste aber das besondere Gepräge des Olbrich-Interieurs. Schade, denn die Jugendstil-Idee des Gesamtkunstwerkes misst der Innenausstattung die gleiche Bedeutung zu wie der äußeren Gestaltung eines Hauses.

Friederich Deneken, der erster Direktor des neu errichteten Kaiser Wilhelm Museums, knüpfte um die Jahrhundertwende zahlreiche Kontakte zu avantgardistischen Künstlern und Kunsthandwerkern in den Niederlanden und Frankreich. Und wie er Peter Behrens nach Düsseldorf empfahl, gab er wohl auch Albert Oetker den Tipp, den Wiener Architekten Olbrich, dessen neuer unverwechselbarer Stil bei den Häusern der Künstlerkolonie Mathildenhöhe in Darmstadt Aufsehen erregt hatte, für ein ähnliches Vorhaben in Krefeld zu gewinnen. Als aus dem Rheinland lukrative neue Aufträge winkten, eröffnete Olbrich 1907 ein Büro in Düsseldorf und plante neben den Warenhäusern für die Leonhard Tietz-AG (später Kaufhof Düsseldorf) und Theodor Althoff-AG (Gladbeck) auch Privathäuser. So für die Gebrüder Schöndorff und Max Clarenbach in Düsseldorf. Von den hochfliegenden Krefelder Plänen blieb nur das Haus an der Hüttenallee 150 übrig.

Warum ist dieses Gebäude im Werkverzeichnis nicht vermerkt? Dr. Renate Ulmer, Kunstwissenschaftlerin auf der Mathildenhöhe und Olbrich-Forscherin, gibt zu bedenken, dass Olbrichs Spätwerk, vor allem seine späten Villen, noch kaum erforscht seien.

Spiegelverkehrt

»Die jetzige Lage entspricht mehr den Anforderungen für ein Atelier«, schrieb Joseph M. Olbrich am 26. Mai 1908 an den Krefelder Museumsdirektor Deneken. Und er verdeutlichte seine schriftlichen Ausführungen am Rand des Briefbogens mit einer kleinen Handskizze.

Erstaunt stellen wir fest, dass das Gebäude an der Hüttenallee 150 nicht mit diesem von ihm unterzeichneten Plan für ein »Künstlerheim« übereinstimmt: Spiegelverkehrt ist es nämlich gebaut worden, und büßte dadurch alle, von Olbrich herausgestellten Vorteile ein. Dieser Brief, der sich mit anderen Schriftstücken und besagter Blaupause (RP vom 6. September 2008) im Archiv des Kaiser Wilhelm Museum fand, belegt zweifelsfrei, dass Olbrich die Zuwegung zum Haus an dessen Westseite anlegen wollte, dort, wo es heute zum Golfplatz geht. Der Hauseingang sollte an der waldigen Nordseite liegen, dort wo 1908 noch freies Feld war.

Somit plante Olbrich die Wohnräume im Erd- und im Dachgeschoß nach Süden, mit Blick auf den Garten hin, wo er Blumen, Stauden und Obstbäume gepflanzt sehen wollte. Wer beim Hausbau gegen den Plan des Architekten handelte, ist aus den Unterlagen nicht erkennbar. Sicherlich aber hat diese seitenverkehrte Realisierung des Olbrich-Konzepts die Qualität des Hauses, im Wohn- wie Atelierbereich, erheblich gemindert.

Irmgard Bernrieder