Hell wird es heute nicht mehr. Es regnet Bindfäden. Ich beeile mich. Getrieben vom Regen und vom unwirtlichen Platz vor der Mediothek haste ich auf den riesigen, weißen Kasten mit den verlockenden Schlitzen zu.

Sesam öffne dich, die Magie beginnt an der Tür, die sich nur durch mein Annähern öffnet, um mich mit meinen Gedanken an die Montagslesungen vor der geschlossenen Zweigbibliothek in Uerdingen und an die abgehängten Vororte eintreten zu lassen. Aus einem von ihnen bin ich angereist.

Blick in die Mediothek, 2014. Foto: Ralf Janowski
Blick in die Mediothek, 2014. Foto: Ralf Janowski

Beim Herzlich Willkommen, in aller Sprachenvielfalt ins Glas geschliffen, verfliegt mein Murren. Mein Blick versucht Fuß zu fassen im ausgedehnten, überhöhten Raum. Dabei geben mir meine nassen Sohlen Geräusch auf Schritt und Tritt. Was hörbar wird fällt ins Gewicht. Die Unterscheidbarkeit gedämpfter Stimmen, Töne. Hier muss es Bücher geben und nicht nur Digitales, worauf mein Blick nach unten schweift. Bücher, die darauf angewiesen sind, den Schall zu schlucken. Den Überschall von draußen in Stille zu verwandeln.

Gleich am Eingang schweben aufgeschlagene Bücher, wie übermütige Flügelwesen an einer Säule »Beim Lesen guter Bücher, wächst die Seele empor«, dieser Satz von Voltaire fällt mir ein. Jetzt lockt mich das abendsonnengelbe Licht im Rund der Theke, dem Empfang, zwei Frauen, die zu sprechen sind. Ganz rechts und links Geräte. Eingabe und Ausgabe mit einem Fingerzeig und kinderleicht, wie unentwegt bewiesen wird, von Kleinen, die sich ans Werk machen zur Selbstverbuchung mit ihren Bücherbergen. Die alten Tage sind gründlich abgestaubt, vergangene Zeiten, in denen ich ein einziges Buch, noch frisch gestempelt, wie ein geliehenes Kleinod mit nach Hause nahm.

Gedankensprünge trage ich durchs Haus, bis einer ruft und grüßt, ein Handschlag, ein Freuen, ein Lange-nicht-gesehen. Auf diesem überdachten Marktplatz trifft man gern Gleichgesinnte und Verwandte.

Dann vorwärts vorbei an langgestreckten Büchertheken mit Angeboten, Bestsellern vom Neuesten mit Aufpreis. Und mutig weiter durch die Werbewelt: Handzettel, Plakate, der fürchterliche Red Man. Lesen retten soll ich, werde ich von ihm aufgefordert. Bücher spenden oder Geld.

Hängt dieses schöne Haus, wie seine Stadt am Tropf? Wie ein sinkendes Schiff sieht es nicht aus. Eher wie eines, das mich für sich einzunehmen weiß, auf seiner Fahrt, breit ausgelegt, auch für unruhiges Gewässer. Die Wände licht und weiß, Brücken von Bücherdeck zu Bücherdeck, mit leichtem Anstieg beim Weg auf rotem Boden und Halt beim Überblick, beim Ausstieg, von Ebene zu Ebene. Da treffe ich Leseratten, hinter aufgeschlagener Zeitung, in ein Buch versunken, vor Bildschirmen. Mit aufgelöstem regennassem Haar. Mit Kopftuch. Mit Käppchen, blond, lila schwarz und grau. Klein oder groß.

Aus der Kajüte ganz unten hallen Kinderstimmen zu mir hinauf. Hier durchstöbern die kleinen Leseratten ihre eigenen Medien, nehmen ein Recht wahr, das ihnen die Kinderrechtskonvention der UN zusichert.

Dann auf höchstem Deck bei freiem Durchblick fülle ich in Gedanken die Regale auf. In Augenhöhe stelle ich besonders das Stiefkind Lyrik, die feinste Waage für das Wort, beim Schreiben und beim Lesen, beim Innehalten, dem untrüglichen Moment der Freiheit.

Liesel Willems