Die de-Greiff-Säule
Jedes Denkmal hat seine Geschichte, die seiner Entstehung und die seines meist langen Todes. Mehr noch als über das Denkmal verrät uns dessen Geschichte aber von der Zeit und von den Menschen, die das Denkmal wollten oder auch nicht, jedenfalls dem, der versteht und gewillt ist, zwischen den Zeilen zu lesen.
Am 8. Juni 1865, dem 84. Geburtstag von Cornelius de Greiff und ein Jahr nach seinem Tod, sollte das Denkmal für den Seidenfabrikanten – der nach seinem Tode seine Mitbürger »höchlich« überraschte – eingeweiht werden, zusammen mit einem Volksfest, wie Krefeld noch keines gesehen hatte. Die Befürchtungen, das Denkmal könnte nicht rechtzeitig fertig werden, bewahrheiteten sich. Als neuer Termin wurde der 22. August 1865 gewählt, der Vermählungstag seiner Mutter Anna, geborene Floh, die durch ihre Stiftung den Grund für den Bau des Städtischen Krankenhauses legte.
Fast 78 Jahre stand auf dem Ostwall dieses erste bürgerliche Denkmal in unserer Stadt, das »die dankbare Vaterstadt ihrem Wohltäter Herrn Cornelius de Greiff« gewidmet hatte. So stand es auf dem quadratischen Granitsockel mit den vier Bronze-Flachreliefs, die die Göttin der Wohltätigkeit, eine Allegorie der Stadt Krefeld, das Stadtwappen und die kurze Inschrift trugen. Darüber erhob sich die schlanke Säule aus schlesischem Marmor mit korinthischem Kapitell und einem Greif als Wappenhalter. Der Greif als Wappenvogel war heraldisch gesehen nicht ganz korrekt, da sich der Name von Grift, Graben herleitet, machte aber auf jeden Fall mehr her.
1908 wurde die marmorne Säule durch eine aus bayerischem Granit ersetzt. Ausgetauscht wurde auch der Greif. Die Luftverschmutzung hatte der Figur aus Zink zu sehr zugesetzt. Eine neue, aus getriebenem Kupfer, sollte dauerhafter sein. 1910 entfernte man das Gitter, welches das Denkmal, wie viele andere auch, schützend umgab. Wie so vieles andere fielen 1940 der Greif und die Bronzetafeln der Buntmetallspende des deutschen Volkes zum Opfer. In der furchtbaren Bombennacht des 22. Juni 1943 wurde das Denkmal dann schwer beschädigt und die Säule lag am Boden. Aber so zerstört war sie nicht, dass es nicht der Mühe gelohnt hätte, sie wieder aufzurichten, was aber nicht geschah.Nur der Säulenschaft strandete auf einem Betriebshof des Gartenamtes. Am 30. August 1950 stand in der »Westdeutsche Zeitung« , dass es »ein seltsamer Zwiespalt der Natur [sei], auf der einen Seite, wenngleich mit vollem Recht und in dankenswerter Weise, sich des großen Wohltäters zu rühmen, auf der anderen Seite aber sein Denkmal, das Erinnerungszeichen an seine und seiner Familie unvergeßlichen Wohltaten, mehr und mehr verkommen zu lassen«.
Zur Wiederherstellung des Denkmals wurde 1956 ein kleiner Wettbewerb ausgeschrieben. Man nahm den Entwurf von Leo Bigenwald dankend an und gratulierte dem Krefelder Künstler. Eine Entwurfsänderung wurde gewünscht und ausgeführt. Einige andere, auch auswärtige Künstler wurden befragt und am 14. April 1958 kam der Haupt- und Finanzausschuß nach Vorbereitungen des Kunstausschusses einstimmig (bei einer Stimmenthaltung) zur Annahme eines bis dahin unbekannten Entwurfs des Krefelder Hochbauamts. Der Entwurf sah als Bekrönung eine »kleine, dekorative Krone« vor und am Fuß der Säule ein »einfaches, aber künstlerisch abgestimmtes Schutzgitter«. Als Standort wurde wieder der Ostwall, in Höhe des Dampfmühlenweges, vorgeschlagen, nachdem man zunächst auch den Westwall in Erwägung gezogen hatte. Der Granit wurde, da an einigen Stellen beschädigt, verkratzt und verschrammt, mit einem Sandstrahlgebläse in seinen matten, grobkörnigen Naturzustand versetzt. Ende März 1959 stand sie wieder, »die wiedererstandene Säule des Cornelius de Greiff, die bauamtlicher und ratsherrlicher Aufbau- und Kulturwille in die Vertikale emporzurichten vermochten … Hat dies der gute alte Cornelius de Greiff eigentlich verdient, daß man sich so wenig Mühe gab?« fragte sich nicht nur die Rheinische Post in ihrer Ausgabe vom 11. April 1959 und gab wenig weiter unten auch die Antwort: »was hilft es, mehr Geld auszugeben, wenn das Portofeuille des guten Geschmacks dann immer noch armselig bestückt bleibt?«.
»In einer dunklen Oktobernacht verschwand die Säule, die an einem hellen Märznachmittag aufgestellt worden war« schrieb die Neue Rhein Zeitung am 30.10. des gleichen Jahres. Zeugen der amtlich verfügten Denkmalniederlage waren späte Spaziergänger, heimkehrende Kegelbrüder und natürlich die städtischen Arbeiter. Zwei Fanfarenbläser und ein Trommler, die aus dem Dunklen auftauchten, spielten den Zapfenstreich. Dass bei der »Stadtkomödie« der »Respekt vor der vaterstädtischen Würde« in leider »nicht mehr überbietbarem Maße« versäumt wurde, bedauerte zuvor am 28.9. die Westdeutsche Zeitung. Die Trümmer des Denkmals wurden wieder auf einen Betriebshof des Tiefbauamtes gefahren und zwischen Teerfässern und Bauschutt gelagert, aber die Säule »geisterte« weiter durch die Lokalteile der Krefelder Zeitungen.
Bei der Neugestaltung des Dionysiusplatzes wurde versucht, die Scharte wieder auszuwetzen. Diesmal setzte man die Säule ohne jedweden Zierrat zwischen Kirche und Hintereingängen eines Einkaufszentrums in ein vierstufiges Brunnenbecken. Aus dem Fragment des ehemaligen Denkmals wurde ein Ärgernis, das mit der Erinnerung an den Wohltäler der Stadt nichts mehr zu tun hatte. Der Brunnen verdreckte und versiegte schließlich, der »Phallus« diente Sprayern als Malgrund.
Die Gemeinschaft Krefelder Künstler benutzte die Senke im Herbst 1987 als Kulisse einer Aktion – nicht ohne vorher die Verantwortung für eventuell entstehende Schäden übernehmen zu müssen. Kurz darauf lag die Säule wieder da, wo sie schon einmal herumlag, auf dem Betriebshof des Tiefbauamtes. Es wurden neue Vorschläge gemacht, unveröffentlichte Pläne und Fotos vorgeführt, Fragen nach dem alten und neuen Standort gestellt, Leserbriefe geschrieben und Sitzungen einberufen. Dem Aufruf des städtischen Denkmal-Ausschusses folgten etliche Bürger. Ein Sponsor hielt großzügig 100.000 DM bereit, jedoch verbunden mit der Vorstellung einer Wiederherstellung des Denkmals im alten Stil in der Ostwall-Mitte. Und das Ende vom Lied? 150 Jahre nach dem Tod des Cornelius de-Greiff, liegt die Säule immer noch. Nur die Adresse hat sich geändert, der Betriebshof musste in der Zwischenzeit einmal umziehen.
Cornelius de Greiff – Wohltäter der Stadt
Bei einer Betrachtung dieses Trauerspiels, darf oder muss man sich doch fragen, was ist an dieser Säule, dass sie so zu Widerspruch oder Verleugnung amtlicherseits reizt? Was hat dieser »Wohltäter der Stadt« getan, dass sich die Verantwortlichen in dieser oft beschämenden Art und Weise aus der Verantwortung stehlen?
Der größte Teil der Bewohner dieser Stadt und ihre Repräsentanten hatten das Denkmal 1865 gewollt, finanziert und aufgestellt. Die Verdienste des Herrn Cornelius de Greiff sind sattsam bekannt. Sechs Jahre vor seinem Ableben vermachte er seinen Mitbürgern testamentarisch insgesamt 466.000 Taler, angefangen von 120.000 Talern für das Krankenhaus, mit der Auflage, 100.000 Taler »hypothekarisch unterzubringen«, um mit deren Zinsen die laufenden Bedürfnisse zu bestreiten, Gelder für je ein Verpflegungshaus für »dürftige« Männer und Frauen über 65 Jahre, je ein evangelisches und katholisches Waisenhaus, Gelder für ein Leichenhaus, je eine städtische Fleisch- und Kornhalle bis hin zur Bereitstellung von 50.000 Talern »zur Unterstützung von 50 dürftigen aber braven Familien namentlich solche, die viele Kinder zu erziehen haben«. Auch hier, wie bei fast allen anderen Stiftungen, sollten nur die Zinsen »zur Anwendung« kommen.
Darüber hinaus bat er seinen zum Haupterben eingesetzten Bruder, dem, was von seinem Vermögen nach Erfüllung seines Vermächtnisses übrigbliebe, »nach Gutdünken ebenfalls eine Bestimmung zu gemeinnützigen wohltätigen Zwecken geben [zu] wollen«. Marianne Rhodius, seine Nichte und Universalerbin, die in den 37 Jahren, die sie Cornelius überlebte, 4.500.000 Mark für die öffentliche und private Wohlfahrt spendete, verfügte eingangs ihres Testamentes: »In Ausführung des von meinem seligen Oheim, dem Herrn Cornelius de Greiff in seinem Testament ausgesprochenen Wunsche schenke und vermache ich ferner noch als Partikular-Legate der Stadt und Gemeinde Crefeld die Summe von 1.800.000 Mark«.
Allgemein ist zu sagen, dass es eine Eigenart des Mediums »Denkmal« war und ist, dass sein Gebrauch nicht nur die Verfügung über erhebliche Geldmittel voraussetzt, sondern ebenso die über öffentlichen Grund und Boden. Aus diesem Machtmonopol und aus dem daraus abgeleiteten Anspruch aber ergab sich oft schon eine ablehnende Haltung dem jeweiligen Denkmal gegenüber. Die daraus folgende Abwehr ging häufig über verbale Kritik hinaus und konnte bis zur Demontage oder Zerstörung führen. In Kenntnis dieser Frontenbildung zwischen den meist »amtlichen« Denkmalsetzern auf der einen und »dem Volk« auf der anderen Seite wurden schon bei der Aufstellung entsprechende Vorkehrungen getroffen, ablesbar zum Beispiel an wehrhaften Umfriedungen.
Bei der de-Greiff-Säule scheint diese Frontenbildung jedoch unter einem umgekehrten Vorzeichen zu stehen. Denkmalbefürworter so scheint es, sind hier diejenigen, denen die Stiftungen zugutekommen sollten. Unter diesem Blickwinkel besehen, bekommen sogar die im ersten Augenblick unverständlichen Vorgehensweisen amtlicherseits einen möglichen Sinn.
Die Denkmaldemontage begann nicht erst 1940 mit der »Buntmetallspende«, sie ist so alt wie das Denkmal selbst und hat viele Väter. Schon bei der Planung hieß es in einer Eingabe: »Denkmale auf öffentlichen Plätzen errichtet man hochverdienten Fürsten, Feldherrn, Dichtern, Gelehrten, überhaupt Männern von weitest reichender Bedeutung und Wirksamkeit. Bei Verdiensten, welche an sich sehr dankenswert, aber ausschließlich lokaler Art sind, hat man sich bis dahin gemeiniglich beschränkt auf Denktafeln am Geburts- oder Sterbehaus …«. Der Einsender entfachte mit seiner offenbar isolierten Meinung flammende Empörung. Die wenigen Gegner des Denkmals machten schon bald einen Rückzug und beteuerten, es nicht so gemeint zu haben. Aber die Denkmalzerstörung, oder das Kratzen am Ruf des Cornelius, ging weiter, wenn zunächst auch nur verbal.
Karl von der Leyen, Mitglied einer der ersten Krefelder Familien, beschreibt den alten Cornelius in seinen Crefelder Familienerinnerungen 1889 als »alten Junggesellen« der »sein ganzes Leben den Geizhals spielte und von dem als einem bekannten Stadtoriginal die wunderlichsten Geschichten erzählt wurden«, und der »der Stadt etwa eine halbe Million Taler für verschiedene wohltätige Zwecke …« vermachte. Der Vorfahr des Karl von der Leyen, Friedrich H. von der Leyen, Kaufmann, ehemaliger Bürgermeister und Bewohner des »Schlosses«, des heutigen Krefelder Rathauses am Von-der-Leyen-Platz, hinterließ der Stadt bei seinem Tode 1842 3.000 Mark für die Armen und 6.000 Mark zum Ausbau des allgemeinen Krankenhauses – diese Zahlen nur zum Vergleich.
Gemessen an seinem Einkommen mag Cornelius zwar einfach und sparsam gelebt haben, aber der Vorwurf des Geizhalses war nichts weiter als üble Nachrede. Dass er sich selbst bereicherte, nicht aber auch das Ansehen ihres Standes hob, das haben ihm seine Standesgenossen wohl nicht verzeihen können. Den Grundstock ihres Vermögens hatten die de Greiffs im landwirtschaftlichen Bereich und schon vor der französischen Revolution gelegt. Der Vorwurf, dass Cornelius mit seiner Spende nur das Geld, das er seinen Webern vorenthalten hatte, auf diese Art und Weise zurückgäbe und er im übrigen nur ein »reuig gewordener Ausbeuter« wäre, ist irrig und als schon im Ansatz falsch von Walter Nettelbeck in seinem kleinen Buch über de-Greiff von 1969 zurückgewiesen worden. Aber derartige Vorwürfe sind langlebig.
Eine gewisse Reserviertheit seinen Stiftungen gegenüber mag aber auch in deren religiösen Bindung liegen. So durfte laut Testament das »Comite,… um das ganze ins Leben zu rufen, zu leiten und zu überwachen« nur aus Personen bestehen, »die sich mennonitischen oder evangelischen Glaubens bekennen«. Seltsamerweise »verschwand« das originale Testament, nachdem sich die Stadt Krefeld den Teil des Testamentes, der »das Vermächtnis« genannt wurde und die Spenden ausschließlich für Krefeld enthielt, hatte bestätigen lassen. Es wurde erst 1967 nach langem, systematischem Suchen entdeckt. Ähnlich verhielt es sich mit dem Testament der Marianne Rhodius. Die Abschriften sind angeblich im Krieg verbrannt, und die Präambel, den Hinweis auf die Erfüllung des Testamentswunsches ihres Oheims, verschwieg die Stadt bei der Veröffentlichung im Jahre 1902. Sogar die einzige Bedingung im Testament der Marianne Rhodius, die Familiengruft der de Greiffs »stehts in gutem Zustand zu halten« wurde jahrzehntelang mehr als nachlässig gehandhabt.
Und was ist aus der Markthalle und dem entsprechenden Grundstück geworden, »Wo blieben seine Taler?«. Walter Nettelbeck kommt in seinem Buch zu einem deprimierenden Ergebnis. Die betreffenden Akten sind im letzten Krieg samt und sonders verbrannt und das Kapital durch Geldentwertung zusammengeschmolzen. Im Etat der Stadt Krefeld von 1968 verblieben nach Abzug der Unkosten vom gesamten Stiftungskapital 4.380 DM.
150 Jahre nach seinem Tod müssen wir beschämt feststellen, dass das dauerhafteste Denkmal nicht die Stadt oder ihre Bürger sondern de-Greiff sich selbst gesetzt hat, »dauernder als Erz« wie Horaz einmal sagte. In der Erinnerung großer Teile der Bevölkerung lebt der alte Cornelius noch immer fort, wenn auch nicht unumstritten. Ein Original ohne Sockel in unserer an Originalen arm gewordenen Zeit, der, ohne dass man es ihm ansah, ein Herz für die Schwachen in der Gesellschaft hatte.
Das ursprüngliche Denkmal von 1865 ist zusammen mit seiner alten Umgebung unwiederbringlich verloren. Aber vielleicht findet sich doch irgendwann ein Prinz, der das Dornröschen …
Georg Opdenberg