»Wir wussten in Deutschland ja nichts vom Tanz«

»Thomas Thorausch, der stellvertretende Leiter des Deutschen Tanzarchivs in Köln, bemerkt in einem internen Arbeitspapier: Am 14. April 1955 erfolgte in Krefeld unter dem Ehrenvorsitz von Professor Kurt Joos die Gründung der »Gesellschaft zu Förderung des künstlerischen Tanzes«. Initiator Heinz Laurenzen, ein Stadtinspektor der Stadt Krefeld (!), realisierte damit seine Idee, zur Entwicklung der internationalen Tanzszene in Deutschland einen schulischen und geistigen Beitrag mit dem Aufbau einer Tanzakademie zu leisten. Vorgesehen war die Organisation von Vorträgen, Aufführungen, Arbeitskreisen und Tagungen. Die Stadt Krefeld – in Person ihres Oberbürgermeisters Johannes Hauser – unterstützte das Vorhaben der Gesellschaft tatkräftig und stellte »Studio« und Geschäftsstelle zur Verfügung.

Sommerakademie 1960. Foto: Stadtarchiv Krefeld, Fotobestand, Objekt-Nr. 4313-10363
Sommerakademie 1960. Foto: Stadtarchiv Krefeld, Fotobestand, Objekt-Nr. 4313-10363

1957 veranstaltete die Krefelder Initiative die erste Internationale Sommerakademie des Tanzes. Auch in den nächsten drei Jahren fanden die vierzehntägigen Sommerkurse in Krefeld bei stetig steigender Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer (von 174 im Jahr 1957 auf 402 im Jahr 1960).«
Diese Notiz zitiert rückblickend Jürgen Sauerland-Freer in einem Artikel (Heimat, 78/2007) und will damit aufzeigen, dass die kleine Großstadt Krefeld ganz so unbeleckt nicht war in Sachen modernen Tanzes.

Die Gäste aus aller Welt befruchteten hiesige Künstler und stießen noch ein Fenster in die Welt auf, die von den nationalsozialistischen Machthabern zwölf Jahre geschlossen gehalten worden waren. Der Initiator der Krefelder Tanz-Szene zitiert weiter eine deutsche Tänzerin: »Wir wussten in Deutschland ja nichts vom Tanz – und plötzlich war die Fülle des internationalen Tanzes zu Gast in Krefeld. Waren wir früher nach Paris gefahren, um internationale Tanzluft zu schnuppern, so war jetzt die Fahrt zur Sommerakademie nach Krefeld […] das Muss.

Auf den Sommerakademien 1957 bis 1960 stritt man leidenschaftlich über den sozialen Stellenwert des Tanzes in der Gesellschaft und dachte über Wege zur Verbesserung der Situation der Kunstsparte Tanz nach.

1961 verlegte die Gesellschaft ihren Sitz nach Köln, wo die Internationale Sommerakademie des Tanzes noch bis in die 2000er Jahre stattfand.

Nachhaltigkeit der flüchtigen Bewegung

Das umgenutzte Industriedenkmal Fabrik Heeder öffnete seine Pforten als städtisches Kulturzentrum im April 1989. Jürgen Sauerland-Freer hatte die Aufgabe, ein Programm für den neuen Treffpunkt zu entwickeln. Er erinnert sich in einem Artikel (Die Heimat, Band 78/ 2007) daran, dass der zeitgenössische Tanz damals in der freien professionellen Szene Krefelds noch kein Thema war.

Titelmotiv eines Programmheftes »Move« von 1994
Titelmotiv eines Programmheftes »Move« von 1994

Einen ersten Appetithappen offerierte dann die Wuppertaler Compagnie mind the gap mit der Produktion »Die Klavierspielerin« nach Elfriede Jelinek am 11. Oktober des Jahres, nachdem im April bereits das Pariser Tanztheater Gomina zu Gast gewesen war. Die Publikumsreaktionen ermunterten den Leiter des Kulturbüros, die nächsten »Tanz«-Schritte zu wagen. Zunächst aber entgrenzte das Tanztheater Hamburg den Guckkastenraum der Studiobühne in der Fabrik Heeder, als es sein Stück »Augenblicke zwischen den Wirklichkeiten« zwischen den Säulen tanzte. Der internationale Erfolg von Pina Bauschs Wuppertaler Tanztheater hatte sich auch in ihrer Heimat herumgesprochen, und in der Landespolitik keimte die Idee, NRW zu einem Tanzland zu machen.

Unter Leitung von Jochen Schmidt fand 1990 das vierte Internationale Tanzfestival NRW statt, auf das – sozusagen in voller Fahrt – Krefeld aufsprang mit Teatro del Cuerpo (»La Folia«), Ivan Angelus (»The last Solo«) und den Tänzerinnen Rotraud de Neve und Heidrun Vielhauer (»Cornelia«). Die Fabrik Heeder war ein neuer Hot Spot im jungen Tanzland, der sich weiter »erhitzte«, als er Mitte 1991 zu einem Spielort des Festivals »Meeting Neuer Tanz« des Kultursekretariats Wuppertal wurde.

Jürgen Sauerland-Freer konzipierte spartenübergreifende thematische Reihen und vertiefte nach und nach auch die Auseinandersetzung mit der internationalen Geschichte des Tanzes. Ihm zur Seite entwickelte sich Dorothee Monderkamp zu einer Spezialistin in dieser Sparte. Das Duo erdachte gemeinsam überzeugende Konzepte, und seit 1993 sorgte Monderkamp für die Realisierung und einen reibungslosen Ablauf der Reihen und Festivals. Es waren tänzerische Dialoge mit Positionen des expressionistischen Tanzes zu erleben ebenso wie Butoh-Tanz. Dieser rasante Erfolgskurs brachte die ehrenamtlichen Bühnenhelfer wie auch die Bühnentechniker an ihre Grenzen.

Der enge finanzielle Rahmen der Kommune gestattete weder eine erhöhte Eigenbeteiligung noch Mindestabgaben und verhinderte letztlich nach 1994 die Beteiligung am »Internationalen Tanzfestival«.

Doch aus dem geschaffenen Humus erwuchsen neue Möglichkeiten: Mark Sieczkarek präsentierte fünf Jahre nach dem großen Heeder-Start seine Choreographie »Hurricane«, die eindrucksvoll erkennen ließ, wie begeistert der zeitgenössische Tanz an diesem Ort mittlerweile von einem wachsenden Publikum angenommen wurde. Das Festival »Move! Krefelder Tage für modernen Tanz«, das Sauerland-Freer aus dem Hut zauberte, war die folgerichtige Reaktion auf diesen neuen Tanz-Enthusiasmus. Workshop-Angebote für Kinder leistete Nachwuchsarbeit, Foto-Ausstellungen und Filmvorführungen flankierten die Tanzaufführungen und setzten den Tanz in einen nachhaltigen Dialog zu anderen Kunstgattungen. Von 1993 bis zu dessen Ende 2001 war die Fabrik Heeder Austragungsort des Festivals »Meeting Neuer Tanz«, und unterm Jahr hielten Gastspiele das Interesse an der Welt des Tanzes wach.

Als erste Auftragsarbeit des städtischen Tanz-Engagements – mit Unterstützung des Landes NRW sowie der Städte Duisburg und Viersen – firmiert »Coal and Dust« von Robert Poole, uraufgeführt am 29. August 1998 in der Fabrik Heeder.

»Move« Plakat 2014, Repro: Kulturbüro der Stadt Krefeld
»Move« Plakat 2014, Repro: Kulturbüro der Stadt Krefeld

Beglückende Allianzen

Zur Jahrtausendwende zeigte sich die Fabrik Heeder als ein unverzichtbarer Drehpunkt der nordrhein-westfälischen Tanz-Szene. Die abwechselnd stattfinden Festivals »Meeting Neuer Tanz NRW« und »MOVE! – Krefelder Tage für modernen Tanz« sowie zahlreiche Einzelgastspiele, (mit Uraufführungen und Premieren) wurden längst auch in Fachkreisen ernst genommen.

Hinzu kam von 2001 bis 2005 die Reihe »tanzstrasse«, umfassend betreut von Dorothee Monderkamp, und großzügig gefördert von der Kulturstiftung des Landes und der Kulturstiftung der Sparkasse.

Mit der Reihe »fused« – TanzKunst in Krefeld« wurde ein qualifiziertes neues Format geschaffen, um die Erarbeitung von Tanzproduktionen noch stärker mit der Fabrik Heeder zu verknüpfen und den Standort weiterzuentwickeln. Vier ChoreographInnen aus Nordrhein-Westfalen wurden eingeladen, ihre kreativen Potentiale mit KünstlerInnen aus Krefeld auszutauschen. Heraus kamen vier Choreographien, die mit Unterstützung der Kunststiftung NRW im Herbst 2005 in der Fabrik Heeder uraufgeführt wurden. Fortgesetzt wurde die Reihe »fused« im Jahr 2007.

Im gleichen Jahr wurde außerdem auf Landesebene »tanz nrw« aus der Taufe gehoben und präsentierte erstmals vom 10. bis 13. Mai 2007 26 abendfüllende Produktionen. Seither organisieren neben der Fabrik Heeder Veranstalter und Einrichtungen in Essen, Düsseldorf, Köln, Viersen und Wuppertal sowie in den später beigetretenen Städten Bonn und Münster alle zwei Jahre aktuelle Tanz-Theater-Produktionen an Kultur-Schauplätzen ihrer Städte.

Seit 2008 ist die Fabrik Heeder als Austragungsort an der »internationalen tanzmesse« beteiligt, die alle zwei Jahre in Düsseldorf stattfindet. Mit »suisse en suite« – Schweizer Tanztage in der Fabrik Heeder“ (2009) wurden eigene Formate realisiert.

Daneben findet das Eigengewächs »MOVE! – Krefelder Tage für modernen Tanz« in diesem Jahr bereits zum 14. Mal statt und unterstreicht, dass der Stadt in diesen vergangenen zwei Jahrzehnten mit der Kunstsparte »Tanz« ein durchaus urbanes Segment zugewachsen ist. Gerade zum 25jährigen Bestehen des Kulturzentrums Fabrik Heeder wird deutlich, wie befruchtend gattungsüberschreitende Allianzen sich entwickelten. Das Engagement des Kulturbüros erfährt eine besondere Anerkennung durch die »Mittelzentrenförderung Tanz«, die von 2013 bis 2016 Fördergelder nach Krefeld fließen lässt. 2014 wurden mit diesem Geld die neuen Formate »First Steps« und »MOVE! In town« verwirklicht.

Irmgard Bernrieder